Band Sie rockten und hatten in Damaskus viele Fans. Dann kam der Krieg, die Armee krallte einen, ein anderer wurde ermordet, die restlichen flüchteten – bis nach Berlin
: Sagen, man hat überlebt

Auftritt der Band Khebez Dawle in einem Club in Berlin Foto: Karsten Thielker

von Saskia Weneit

Eigentlich sind sie bloß junge Musiker, die mit ihrer Band Khebez Dawle durchstarten wollen. Doch dann zerfällt ihre Heimat in Krieg, Ruinen und Tod. Hekmat, Bazz und später auch Anas entscheiden sich fürs Leben und fliehen nach Beirut. Doch wieder steht ihnen ihre Nationalität im Weg: keine Zukunft für Syrer im Libanon. Seit sechs Monaten sind sie nun in Berlin. Wartend. Wie es weitergeht, wissen sie erst, wenn die Behörden über ihre Asylanträge entschieden haben.

Auf der Bühne in einem Club in Kreuzberg ergibt alles einen Sinn: die Heimatlosigkeit, die Wut, die Flucht, sogar die Warterei. Arabische Textzeilen fliegen durch den Raum, die kaum einer im Publikum versteht, aber das macht nichts. Die Musik trägt, es gibt Bier, Menschen wippen zum Sound, zu dieser Indie-Rockband aus Syrien, deren Musik an frühes Radiohead erinnert.

Anas Maghrebi, Sänger, Hekmat Qassar am Keyboard und Muhammad Bazz am Bass spielen ein Benefizkonzert für Flüchtlinge. Erst ist da nur der Bass, dann setzt das Keyboard ein, immer eindringlicher wird die Melodie, und Anas, hinten auf der Bühne am Schlagzeug, schließt die Augen und singt:

// In the street today, I find myself one hundred colours, now I can express myself about me and you / I can write my name and yours between here and there, from one neighborhood to another / and simply now – in this moment – we can live in the street! //

Es ist der Moment, als der Mann links von mir mich fragt, ob ich Arabisch verstehe, weil er so berührt sei davon, Musik aus seiner Heimat zu hören und ihm der Text ins Herz steche. Es ist auch der Moment, als Ba­shar, der noch fehlende Gitarrist der Band, in Griechenland sein Geld zählt für die nächste Etappe, nachdem ihn Tage zuvor ein Schlauchboot an die griechische Küste getragen hat. Und es ist der Tag, an dem in Köln mehrere hundert Syrer gegen Sexismus demonstrieren, nachdem die Übergriffe auf Frauen von Männern mehrheitlich nordafrikanischer oder arabischer Herkunft in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof immer noch die Schlagzeilen bestimmen.

Anas, 25, Hekmat, 24, Bazz, 25. Musiker, Syrer, Flüchtlinge, Asylbewerber. Zusammen mit dem fehlenden Bashar, der eigentlich Bachi Darwish heißt, und dem Drummer Omar Entabi, der in Paris Asyl gefunden hat und zu Konzerten anreisen kann, sind sie die Band Khebez Dawle, was auf Arabisch „Brot des Staates“ heißt und darauf anspielt, was es für die Musiker bedeutet, in einem Unrechtsstaat zu leben: dass es mehr braucht zum Leben als subventionierte Nahrungsmittel.

// Get up ... let’ s play some tune / Get up ... let’ s cancel the current change / Get up ... let’ s gather all the breads / get up and let’ s build a country //

Hekmat trägt Vollbart, Anas zertretene Sneakers, Bazz eine Nerdbrille – ob sie wissen, wie hip sie aussehen? Wie die vielen anderen jungen Menschen, die in die deutsche Hauptstadt strömen? Träume verwirklichen. Abhängen. Ausprobieren. Prekär bis zum Durchbruch. Für die Musiker aus Syrien bedeutet das erst mal: Flüchtlingscamp. Ein Raum, acht Betten, drei Fenster, ein Stuhl und im Fenster ein Spiegel im Postkartenformat, zwischen die Griffe geklemmt.

Als sie ankamen in Berlin Anfang Oktober, es war gerade einen Monat her, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren Satz „Wir schaffen das“ sagte, war es Mitternacht. Die Behörden waren geschlossen, Freiwillige vermittelten eine private Notunterkunft. So schnell wie möglich stellten sie ihren Antrag auf Asyl, warten auf die Bearbeitung, es dauert – im Dezember 2015 liegen 356.000 unbearbeitete Asylanträge beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Fast ein halbes Jahr Ungewissheit, das sie seit Ende Oktober in einem Flüchtlingscamp im Westen der Stadt verbringen. Zusammen in einem Raum mit den anderen fünf, die mit ihnen flüchteten. Wie eine Familie, das war ihnen wichtig, das gibt ihnen Halt.

Aus dem Hof der Flüchtlingsunterkunft dringen Kinderstimmen in ihr Zimmer. Auf den Matratzen liegen Decken, Jacken, Hosen, liegen eine Gitarre und eine Ukulele. An den Hochbetten hängen Plastiktüten, darin Klamotten, Chipstüten, Handtücher. Auf den Fensterbänken steht Wasser, steht Deo, liegen Zigaretten.

Anas bittet, keine Fotos von diesem Raum zu machen, der an einen Tourbus denken lässt, „aber wir sind nicht auf Tour“, sagt er. Der Sänger sieht Unordnung, sieht Chaos und eine Lebenssituation, die nur ihre Geschichte als Flüchtlinge erzählt.

// Everyone of us is waiting for the other to take a step; afraid of taking risks. / Everyone of us, want’ s everything that’ s in the other, but doesn’ t really know how to start. //

Zu acht in Berlin bleiben, zu neunt, wenn Bashar es hierherschafft, gemeinsam Musik machen, Geld verdienen, auftreten, eine Wohnung finden – das ist die Hoffnung. Solange er die Musik hat und seine Erinnerungen an Syrien, sei er überall zu Hause, sagt Hekmat. Natürlich würden sie lieber in Damaskus leben, sagen alle, weil das mal eine schöne Stadt war, vibrierend und mit einem Potenzial wie Berlin. In Damaskus hatten sie Jobs, Freunde, ihre Eltern. Ein ganz normales Leben, das sich zerschlug in Krieg und Hass.

Über WhatsApp halten sie Kontakt zu Bashar, der erst in Beirut zurückblieb, ohne Pass, den hat noch die syrische Armee. Inzwischen hat er mithilfe von Anwälten neue Dokumente bekommen, durfte ausreisen, kann nachkommen. Die Musiker haben die letzten fünf, sechs Jahre zusammen verbracht, verbunden in ihrer Liebe zur Musik, es muss dieses starke Wort „Liebe“ hier stehen, denn das ist es, was sie antreibt. Umso schlimmer, das einer fehlt.

Auf der Flucht gaben sie Konzerte:

„In diesem Moment waren wir keine Flüchtlinge, nur Musiker“

Hekmat Qassar

// They’ ve killed me! And then blame me for telling. / After I’ ve spent my life walking beside the walls. / They asked me: „What has that changed in you?“ / So bread and sleep are not enough anymore for you //

2011. Arabischer Frühling. Anas, Hekmat, Bazz und Bashar mittendrin, in Damaskus. Sie arbeiten an Songs, treten auf, Hekmat arbeitet als Grafikdesigner, Anas und Bazz machen Audioproduktionen für Radiosender, sie leben ein normales Leben, träumen vom Durchbruch. Dann lag an einem Morgen ihr Freund, der Drummer der Band war, tot im Auto. Nackenschuss. Am Tag davor hatte er noch demonstriert.

Dies war der Moment, als ihnen klar wurde, es geht nicht mehr, jeder muss allein gucken, wie er durchkommt. Hekmat und Bazz flohen nach Beirut, um nicht Kanonenfutter zu werden in einem Krieg, bei dem sie nicht wissen, wofür man kämpft. Für Bashar war es zu spät, die Armee hatte ihn schon eingezogen. Nur Anas blieb in Damaskus, er nennt es eine dunkle Zeit.

// All that he wants and thinks about: his people not dying one after the other ... / and for his folks, brothers and sisters ... to stay safe. //

Bis zum Sommer 2015 sind mindestens 250.000 Menschen im Syrienkonflikt umgekommen, mehr als 4 Millionen Syrer und Syrerinnen aus ihrer Heimat geflohen und mehr als 7 Millionen innerhalb Syriens auf der Flucht. Anas blieb noch bis April 2013 in Damaskus. „Ich fühlte mich allein, isoliert“, sagt er.

Um nicht verrückt zu werden vor Wut auf diesen Krieg, schreibt er Songs über dieses Leben zwischen Zerstörung und Normalität. Ende 2012 veröffentlicht er sie auf einer selbst gebauten Website, unter Pseudonym – obwohl die Texte doch nur andeuten, was in Syrien passiert. Aber das Regime ist unberechenbar, Meinungs- und Pressefreiheit gibt es nicht mehr.

Die Songs schlugen Wellen bis in den Libanon, wo Hekmat und Bazz ihren Freund von Aufbruch, Freiheit und Stillstand singen hörten und ihn erkannten. Sofort schickten sie eine Nachricht: Komm nach Beirut!

Drei, vier Monate nach der E-Mail sahen sich Anas, Hekmat und Bazz in Beirut wieder. Umgehend begannen sie, an den Songs zu arbeiten. Plötzlich ein Anruf, Bashar war in Beirut aufgetaucht, geflohen aus der Armee, zurück ins Musikerleben. Von nun an waren sie wieder eine Band, Khebez Dawle. Mit anderen Musikern bildeten sie eine Art Künstlerkollektiv, Freunde fürs Leben, Familienersatz. Zweieinhalb Jahre dauerte es, das Album fertigzustellen und zu veröffentlichen.

In der Zeit spielten sie Konzerte, erspielten sich eine Fanbase. Es lief gut. Sie träumten wieder – vom Durchbruch, international, mit Beirut als Basis. Und scheiterten an ihrer Nationalität. Sie durften weder bleiben noch ausreisen. Sie bekamen keine Visa, nicht mit einem syrischen Pass. Im Libanon war ihre Aufenthaltsgenehmigung nach sechs Monaten abgelaufen. Ab dann waren sie wie Illegale.

Besonders Anas hadert ­damit, dass ein Dokument über seine Zukunft entscheidet, bloß wegen eines Kriegs, mit dem er nichts zu tun hat. Er dreht sich eine Zigarette. Das Papier klebt nicht. Zweiter Versuch. „Damals entschieden wir, dass wir den ­illegalen Weg gehen müssen – wie viele vor uns“, sagt Anas.

Am 26. Juli 2015 veröffentlichte Anas auf Facebook einen Post: „Hello, I’m leaving the country by mid August, so I’m selling my gear – all almost as new“.

12. August 2015: Album Launch Party in Beirut, 465 Zusagen auf Facebook. Es war das erste Mal seit einem Jahr, dass sie wieder auf einer Bühne standen – zum Abschied.

Nicht im Tourbus, sondern im Flüchtlingsheim Foto: Miguel Lopes

Am 1. September dann ein neuer Eintrag auf Facebook: „In Greece“ und ein Foto der Gruppe. Zweimal ging der Motor des Bootes aus, doch sie sind angekommen am Strand in Lesbos. Zwei von ihnen können nicht schwimmen.

„Wir haben das Mittelmeer überlebt, hatten endlich wieder Boden unter den Füßen“, sagt Anas, und Hekmat ergänzt, dass sie dieses Gefühl, überlebt zu haben, mit den Leuten in ­Bikinis und Badeshorts, die am Strand in der Sonne lagen, ­teilen wollten. Deshalb hätten sie ihnen ihr Debütalbum in die Hände gedrückt.

// In spite of all the ugly con­ditions, and this life that’ s full of struggling, you’ re still alive. //

Die nächsten Etappen: Mazedonien, Kroatien. Auf einer Bühne dort dann kein Zweifel mehr, dass es richtig war, Beirut zu verlassen. Sie improvisierten einen Auftritt in einer Flüchtlingsunterkunft, ungeplant, für sie selbst überraschend, sie hatten überhaupt nicht daran gedacht, zwischendurch Konzerte zu geben, waren so gestresst von der Flucht, wollten das bloß hinter sich lassen.

– Bazz: „Und plötzlich durften wir spielen. Das war eine Befreiung.“

– Hekmat: „In diesem Moment waren wir keine Flüchtlinge, nur Musiker.“

– Bazz: „Weil wir gesehen haben, dass unsere Musik funktioniert, trotz Sprachbarriere. Das war wundervoll.“

– Anas: „Wenn du das erlebst, kannst du deiner Musik noch mehr vertrauen. Das war unsere Wiedervereinigung.“

Sie haben dann noch ein Konzert in Zagreb gegeben, diesmal in einem Club. Ausverkauft. Eine deutsche Journalistin begann, die Musiker auf ihrer Route zu begleiten, im Herbst kommt ihr Dokumentarfilm in die ­Kinos. Auf ihren weiteren Etappen über Österreich nach Berlin spielten sie Konzerte, gaben ­Interviews, schliefen auf dem Boden in Flüchtlingsunterkünften, auf Polizeiwachen, im Freien.

Drei der Band Khebez Dawle im Preußenpark in Berlin Foto: Miguel Lopes

Ende Januar 2016: Österreichische Grenze dicht, mazedonische Grenze dicht, die politische Stimmung kippt. Mehr als eine Million Asylsuchende regis­trieren die deutschen Behörden im Jahr 2015; 476.649 Menschen stellen einen Asylantrag. Für die syrischen Musiker stellt sich die Frage nach dem „Schaffen wir das?“ jetzt so: Schafft es Bashar noch bis zu ihnen?

Der Weg von Beirut nach Berlin war der leichteste Teil bisher, eine Lektion in Sachen Menschlichkeit, weil ihnen davon so viel begegnete, sagt Anas, der sich seinen Optimismus nicht nehmen lassen will. Seither macht ihnen aber die Bürokratie zu schaffen. Anstehen. Warten. Anstehen. Warten. Einmal im Monat holen sie die 130 Euro Unterstützung ab, von der sie einen Teil an ihre Eltern und Geschwister in Syrien überweisen.

Die Warterei mache sie mürbe, vor allem verstünden sie die Idee dahinter nicht. „In derselben Zeit könnte ich etwas Sinnvolles tun“, sagt Hekmat. Die anderen nicken. Für dieses Land arbeiten, Steuern zahlen, etwas zurückgeben, das würden sie gern. Nicht erlaubt. Sie bekämpfen den Stillstand, indem sie nach vorne schauen. Unterschreiben bei einer Berliner Booking-Agentur, treten auf, suchen nach Probemöglichkeiten, basteln eine Crowdfundingkampagne, um an Instrumente zu kommen. Erkunden die Stadt, schließen Freundschaften, gehen in Deutschkurse.

Auf dem Weg zum Auftritt im Kreuzberger Club im Januar kommen sie an einer Flagge vorbei, rote Schrift auf weißem Stoff, „Sei Stadt, sei Wandel, sei Berlin“. Slogans einer Imagekampagne, Berlin, die „Stadt der Chancen“, der „Place to be“.

// Say what you have in mind everywhere! //

Von außen sieht alles gut aus, perfekt“, sagt Anas. Bashar hat es geschafft nach Berlin; einige Bandmitglieder haben auch schon Ausweise, warten aber noch auf endgültige Aufenthaltsgenehmigungen, um reisen zu können. Sie sind angefragt für Konzerte in Hamburg, Köln, Paris, London, Amsterdam, können aber nichts bestätigen. Auf ihrer Homepage kündigen sie eine Europatour für 2016 an, sie wollen ihre Flüchtlingsroute rückwärts gehen, an allen Zwischenstationen Konzerte spielen, zuletzt auf Lesbos in einer Schlossruine, die Anfrage haben sie schon – „Schedule SOON!“