„Das ist kein Maulkorb“

ETHIK Der Presserat bleibt dabei: Medien dürfen die Herkunft von Straftätern nur in bestimmten Fällen nennen

Die Polizei veröffentlichte Fotos mutmaßlicher Straftäter von Köln. Wir zeigen die Gesichter nicht Foto: Polizei Köln

von Anne Fromm

„Begründeter Sachbezug“ ist das Zauberwort. Nur wenn der besteht, sollen Medien die Religion oder Nationalität von Straftätern nennen. Das hat der Presserat in seiner Sitzung am Mittwoch bestätigt. Er stärkt damit die Richtlinie 12.1 im Pressekodex, die Minderheiten vor Diskriminierung schützen soll. „Die Entscheidung war einstimmig“, sagte Lutz Tillmanns, Geschäftsführer des Presserats, dem von Verlagen und Gewerkschaften getragenen ­Selbstkontrollorgan der Branche.

Die Diskussion um die Regelung war nach der Gewalt in der Kölner Silvesternacht aufgekommen. Damals hätten Medien bewusst und zu lange die Herkunft der mutmaßlichen Täter verschwiegen, behaupteten Medienkritiker – vor allem in den sozialen Netzwerken. Damit hätte man die Täter schützen und die Bevölkerung täuschen wollen.

Diesen Verdacht haben Medien flächendeckend von sich gewiesen und tatsächlich ist er unbegründet. Kölner Lokalmedien hatten bereits am 2. Januar geschrieben, dass es sich bei den Tätern um Männern „nordafrikanischen Aussehens“ handle. Nachdem die Kölner Polizei das am 4. Januar bestätigt hatte, meldeten dies auch Nachrichtenagenturen, Print- und Onlinemedien.

Dennoch sei es Aufgabe des Presserats, so eine Debatte aufzunehmen, sagt Tillmanns. An dem Grundsatz, dass Minderheiten zu schützen seien, habe auch nach den Erläuterungen von Medienpsychologen und -kritikern kein Plenumsmitglied gerüttelt. Viele Redaktionen seien allerdings unsicher, wie die Richtlinie in der Praxis anzuwenden sei. Dafür wolle man künftig „Hilfestellung“ leisten, etwa mit Handreichungen und einem Kriterienkatalog, wann der Täterhintergrund zu nennen sei.

Einigen Chefredakteuren geht das nicht weit genug. So hatte sich zum Beispiel Bild-Chefin Tanit Koch schon vor der Diskussion dafür ausgesprochen, die Richtlinie 12.1 abzuschaffen. Gegenüber der „Tagesschau“ sagte sie nun, hinter der Richtlinie stecke der Generalverdacht, dass Leserinnen und Leser mit bestimmten Fakten nicht umgehen könnten. Doch die Menschen „merken, wenn ihnen etwas verschwiegen wird“.

Dagegen verwehrt sich Presseratschef Tillmanns. „Die Richtlinie ist weder ein Maulkorb noch ein Sprachverbot für Medien.“ Das liegt schon in ihrer Natur: Zum einen ist sie nur eine Empfehlung und kein Gesetz. Verstöße gegen die Richtlinie 12.1 ahndete der Presserat schon seit Langem nicht mehr mit seinem schärfsten Instrument, der Rüge. In den meisten dieser Fälle spricht er nur einen Hinweis aus, da die Berichterstattung selten bewusste Diskriminierung zum Ziel habe.

Zum anderen erlaubt die Richtlinie sehr wohl, die Nationalität von Straftätern zu nennen, eben dann, wenn – Zauberwort – ein „begründeter Sachbezug“ besteht. So einer könnte zum Beispiel sein, erklärt Presseratssprecher Protze, wenn man über Clan- und Bandenkriminalität von Sinti und Roma berichte. Solche „Großfamilienloyalitäten“ könne man nur vor dem kulturellen Hintergrund verstehen. Deswegen dürften Journalisten in diesem Fall Sinti und Roma auch benennen. Auch im Fall von Köln halte Protze es persönlich „für sehr wahrscheinlich, dass die Berichterstattung mit der Nennung der mutmaßlichen Herkunft der Täter und Tatverdächtigen gerechtfertigt sein könnte“.

Einigen Chef­redakteuren geht die ­Positionierung des Presserats nicht weit genug

Neben der Bild-Zeitung haben auch andere Redaktionen bereits angekündigt, mit der Richtlinie 12.1 zu brechen – allerdings aus sehr unterschiedlichen Motiven. So will der Chefredakteur der Sächsischen Zeitung (SZ), Uwe Vetterick, die Herkunft von Straftätern künftig immer angeben, auch wenn es sich um Deutsche handle. Vetterick stützt sich dabei auf eine von der SZ in Auftrag gegebene Studie der TU Dresden, bei der herauskam, dass Leserinnen und Leser immer dann, wenn die Nationalität nicht angegeben ist, automatisch davon ausgehen, dass Migranten dahinterstecken.

Ein interessantes Ergebnis, findet Lutz Tillmanns. Er könne sich allerdings nicht vorstellen, dass die Praxis der SZ bundesweit anwendbar ist. Generell habe er das Gefühl, dass Redaktionen und vor allem jüngere Kollegen heute viel sensibler mit Diskriminierung umgehen, als noch vor über 20 Jahren, als Tillmanns sein Amt antrat.

Dass das allerdings nicht in allen Redaktionen zu gelten scheint, zeigt ein anderer Punkt auf der Tagesordnung der Presseratssitzung: Dem Gremium liegen 31 konkrete Beschwerden über die Berichterstattung nach Köln vor. Elf davon beziehen sich allein auf das Cover des Focus, dass eine nackte, weiße Frau mit schwarzen Hand­abdrücken zeigte.