Die schlimmsten Minuten
des Lebens vor Gericht

Prozess Eine 15-Jährige wurde fast entführt. Am Mittwoch sprach sie über das Erlebte

In der Wohnung des Angeklagten wurden rund 4.500 kinder­pornografische Dateien sichergestellt

Sie hatte sich mit ihrer Freundin gestritten, bei der sie eigentlich übernachten wollte. So begab sich Angelika W. am Sonntag, den 31. Mai 2015 auf den Heimweg. Der zog sich durch einen Schienenersatzverkehr in die Länge. Kurz vor Mitternacht lief die 15-Jährige von der S-Bahn zu ihrem Marzahner Hochhaus. Bewusst wählte sie die belebte Mehrower Allee. Fünf Minuten vor ihrer Ankunft rief sie ihre Mutter an, die ihr die Haustür aufschließen wollte. „Ich bin jetzt da“, sagte sie. „Kannst losgehen!“

In diesem Moment wurde sie von hinten umklammert und ihr wurde eine Gaspistole an die Stirn gehalten. Jemand sagte: „Du wirst mir nie wieder fremdgehen!“, und versuchte, sie in sein Auto zu ziehen. „Hilfe!“, schrie das Mädchen. Dumpf klangen die Schreie, die ihre Mutter am Telefon mitbekam. „Es waren die schlimmsten Minuten meines Lebens!“, sagte sie gestern vor dem Berliner Landgericht.

Ronald L., der ihr diese bereitet hatte, sitzt neun Monate später mit gesenktem Kopf hinter einer Balustrade – ein schmächtiger 47-jähriger S-Bahn-Fahrer. Erst morgen wollen seine Verteidiger vorlesen, was ihn dazu bewogen hatte, sich in jener Nacht mit drei Pistolen, zwei Elektroschockern und einer Machete zu bewaffnen und auf dem Rücksitz seines Hyundai auf ein geeignetes Opfer zu warten. Laut Anklage hatte er geplant, dieses in seine Laube in Bad Freienwalde zu bringen, wo er es über eine Woche lang einsperren und vergewaltigen wollte.

Doch die Hilferufe blieben nicht unbemerkt. Ein Altenpfleger sah die sich heftig Wehrende, die bereits mit ihrem Oberkörper auf dem Rücksitz lag. „Lassen Sie die Frau los“, rief der Altenpfleger und schaute kurz da­rauf in den Lauf einer Pistole, mit der L. das Mädchen bedroht und geschlagen hatte. Nun zielte L. auf den Hilfsbereiten und rief: „Verpiss dich, sonst bist du tot! Der Angesprochene erhob die Hände, entfernte sich und alarmierte die Polizei.

Ein weiterer Mann, der auf seinem Balkon geraucht hatte, traf am Tatort ein und forderte L. auf: „Finger weg!“ Der kapierte, wie aussichtslos die Situation geworden war. Er schubste Angelika W. weg. Mit heulendem Motor fuhr er los, direkt auf den zweiten Retter zu, der eigentlich ein Foto von Täter und Fahrzeugkennzeichen machen wollte und sich jetzt selbst mit einem Sprung in Sicherheit bringen musste.

Noch beim Einparken vor seinem Haus wurde Ronald L. verhaftet, rund 4.500 kinderpornografische Dateien wurden in seiner Wohnung sichergestellt.

Tapfer sprach Angelika W. gestern über das Erlebte, über ihre Schlafstörungen. „Ich habe immer vermieden, darüber zu reden“, sagte sie dem Richter. Dass sie begonnen hat, sich selbst zu ritzen, verschwieg sie. Ihre Mutter berichtete im Zeugenstand vom Verlust der Normalität und von den Schwierigkeiten ihrer Tochter, psychologische Hilfe anzunehmen. Doch sie hat Hoffnung:„Jetzt will sie es wenigstens versuchen.“ Uta Eisenhardt