Ich sag euch jetzt mal was: Lothar König bei einer Demo von Flüchtlingsunterstützern in Heidenau Foto: Sebastian Willnow/dpa

Ein bisschen revoluzzen

Ungehorsam Lothar König ist Pfarrer in Jena. Er predigt gegen rechtes Gedankengut und führt so manche Demo an. Ein Aufrührer war er schon zu DDR-Zeiten. Bis heute eckt er an

aus jena Christoph Jenner

„König verrecke!“, skandierte die Menge der AfD-Demonstranten auf dem Jenaer Marktplatz am 20.Januar 2016. Gemeint war Lothar König, eine der auffälligsten und am stärksten polarisierenden Persönlichkeiten der Stadt in der Mitte Thüringens. Viele loben seinen Einsatz gegen Rechtsextremismus, manche sehen in ihm einen Quatschkopf und für einige ist er eine Hassfigur.

„Hab heute’nen schwarzen Fleck gesehen, ist mir noch nie passiert.“ Lothar König, Jahrgang 54, war gerade beim Augenarzt. Der Jugendpfarrer der Jungen Gemeinde Stadtmitte (JG) in Jena kommt eine Viertelstunde zu spät zur Verabredung, gibt kurz die Hand und geht dann den langen Gang Richtung Eisentor voran. Die Wände des Ganges sind aufwändig gestaltet, mit zahlreichen politischen Botschaften. Aber König ist schon am Tor und interessanter als Graffiti. Und das nicht wegen seines Vollbarts und der Sandalen, die er auch in der kalten Jahreszeit ohne Strümpfe trägt.

Lothar König ist ein anstrengender Gesprächspartner. Wenn er von seiner Arbeit, von Begegnungen, Begleiten und Zuhören spricht, kann man sich Letzteres schwer vorstellen. Lothar König als Zuhörer? Eigentlich redet immer er. „Ich bin Geschichtenerzähler“, sagt er. Geschichten, Eckphrasen, Gesellschaftsprobleme, Versatzstücke von Wissenschafts- und Kirchengeschichte. Ein rhetorischer Floh, der im Gespräch hin und her springt, wie es ihm passt. Dem Gegenüber bleibt nichts, als hinterherzuhecheln. Er springt gerne mal daneben, trifft aber gelegentlich auch ins Schwarze.

Das hat der Zuhörer vielleicht gar nicht mitbekommen, weil er vorher schon abgeschaltet hat. „Schau, dass du da einen roten Faden reinbekommst“, sagt er am Ende des Gesprächs. Begonnen hatte es so: Lothar König setzt sich und sagt: „Ich würde am liebsten anfangen, ich bin jetzt da.“

Auf die Frage, wie ihn die DDR-Zeit geprägt habe, die für ihn eine Zeit des Widerstands war, beginnt er zu erzählen, warum er Istanbul noch immer Konstantinopel nennt. Ein Gemeindemitglied kommt in diesem Moment in den Raum: „Ihr könnt doch nicht nach fünf Minuten schon so abschweifen.“ König erzählt von seiner ländlich geprägten Kindheit im nordthüringischen Leimbach, von zwei früh verstorbenen Geschwistern. Leimbach, das ist in der Nähe des Harzes. „Ein schroffes Gebirge“, wie König anmerkt und man hat das Gefühl, er beschreibe sich selber.

Er erzählt von einer Schneeballschlacht in der zweiten Klasse. „Wir hatten drei Jungs im Ort, die mochte keiner. Das waren Vertriebene aus Schlesien. Und bei Schneeballschlachten gingen dann alle auf die drauf. Da hab ich dann spontan die Seiten gewechselt.“ Lothar König erzählt diese Geschichte sicher nicht zum ersten Mal.

„Dass die mich in den 80ern nicht eingesperrt haben, ist ein Wunder.“ Auch nach der Wende habe er seine Angst vor Polizisten lange nicht ablegen können, sei zusammengezuckt, wenn er welche auf der Straße gesehen hätte, war ständig in Bereitschaft wegzurennen. Ein ums andere Mal war er mit dem System in Konflikt geraten, Freunde von ihm mussten ins Gefängnis oder wurden ausgebürgert. „Aber übertreiben konnte ich es nicht, meine Frau und ich hatten doch schon Wänster.“ Eines dieser „Wänster“ heißt Katharina und ist heute Abgeordnete der Linken im Thüringer Landtag.

König zählte Ende der 80er zum engsten Kreis des Neuen Forums, der wichtigsten Bürgerbewegung in der DDR. Viele aus dem Neuen Forum sind damals in politische Ämter gegangen, das sei aber nichts für ihn gewesen. Er trete doch in keine Partei ein. Nach der Wende ging er nach Jena, baute die Junge Gemeinde in der Johannisstraße wieder mit auf.

Glatzen als Gegner

Rechtsradikale hätten das Haus erst unter Wasser gesetzt und dann versucht anzuzünden, was aber wegen der Nässe nicht funktioniert habe. Stattdessen hätten sie sämtliches Mobiliar kurz und klein geschlagen. Die „Glatzen“, wie er sie nennt, das seien in der Nachwendezeit Gestalten gewesen, „denen man die Verwahrlosung und Hoffnungslosigkeit im Gesicht ansehen konnte“. Und dennoch ist König strikter Gegner eines NPD-Verbots. Jeder habe das Recht auf seine Meinung

Lothar König predigt eine Welt voller Freiheit, in der man das Fehlerhafte des Menschen akzeptiert. Doktrinen würden den Menschen verbiegen oder seien von Leuten formuliert, die sich für unfehlbar hielten. Wenn er darüber spricht, blickt den Gesprächspartner kaum an. Man schrickt beinahe auf, wenn er es doch tut.

König kämpft gegen Rechtsextremismus, führt Demos an, und Anklagen der sächsischen Justiz wegen aufwieglerischen Landfriedensbruchs, die 2013 fallengelassen wurde, können ihn genauso aufhalten wie tätliche Angriffe. Eine Narbe neben dem rechten Auge ist schwer zu übersehen.

Das Infotreffen für die Demo ein paar Tage vor der AfD-Umzug Ende Januar steht an. Man trifft sich in Königs Junger Gemeinde. Der Pfarrer schwört seine Mitstreiter auf die kommenden Aufgaben ein. Er spricht davon, dass Gewalt ein dehnbarer Begriff sei, und erntet Gelächter vor allem von Mitgliedern der Antifa, die sich an diesem Abend bei der Jungen Gemeinde eingefunden haben. Wer Lothar König Böses will, muss ihn manchmal nur zitieren. Im nächsten Satz widerspricht er sich schon wieder selbst.

Er meine keine Gewalt im körperlichen Sinne, aber man müsse den geplanten AfD-Aufmarsch blockieren, so gut es gehe. Man müsse diesmal probieren, mehr Bürger zur Gegendemonstration zu bewegen. „Wir dürfen nicht zu krawallig rüberkommen, ich rauche auch notfalls etwas weniger und lasse den einen oder anderen Schluck vorher weg.“ Wieder Gelächter im verrauchten Raum.

Am Tag der Demo werden die Zugänge zum Marktplatz blockiert, auf dem die AfD ihre Kundgebung abhält. Ergebnis: Der geplante Demonstrationszug der Partei durch die Jenaer Altstadt fällt aus, die Polizei hält es für unverhältnismäßig, die Zugänge zu räumen. „Wir haben gewonnen“, ruft König ins Mikrofon.

Einige Wochen zuvor hatte er im Jenaer Stadtrat gesprochen: Thema Flüchtlinge. Er sagt dazu: „Ich kann diesen Hype um die Willkommenskultur nicht leiden. Man tut so, als kämen da Halbgötter zu uns. Dabei sind das Menschen, Arschlöcher wie du und ich. Das wird eine schwierige Aufgabe.“

Kooperation: Der Text über Lothar König ist in Zusammenarbeit mit der Jenaer Studierendenzeitschrift Akrützel entstanden. Dort ist vor kurzem ein Artikel über den Pfarrer der Jungen Gemeinde erschienen. Es war eine Geschichte im besten taz-Stil. Wir haben den Autor gebeten, sie für unsere Zwecke noch ein wenig auszubauen. Und so ist es zum ersten Mal zu einer Zusammenarbeit mit dem Akrützel-Team gekommen, das sich aktuellen Problemen an der Friedrich-Schiller-Universität und der Ernst-Abbe-Hochschule in Jena ebenso widmen wie kommunalen Themen, hochschulpolitischen Fragen sowie der Kultur. Wir freuen uns schon auf eine weitere Zusammenarbeit mit der Akrützel-Redaktion.

Deshalb gebe es eine Initiative von der JG, in welcher Einheimische und Zugereiste, die sich bereits integriert haben, in Dialog mit gerade angekommenen Asylsuchenden treten. Auf die Frage, wie das Projekt heiße, antwortet er: „Ich hasse Projekte. Das machen wir, die JG.“

Das Gespräch mit König dauert. Kein Wunder. Er ist ständig am Telefonieren, mitunter auch länger, zwanzig Minuten insgesamt, und führt dann jedes Mal die Unterhaltung fort, als wäre nichts gewesen.

Einfach ein Mensch

Er raucht selbstgedrehte Zigaretten, die er zwischendurch mehrmals wieder anzünden muss, weil sie ihm beim Reden ausgehen. „Stell dich mitten in das Feuer und versuche, gut zu sein.“ Ob dieses Zitat von Bert Brecht nicht zu ihm passe.

Gut wolle er nicht sein. „Gut allein ist Gott.“ Aber nähme man das Gut weg, versuche man, Mensch zu sein, dann gehöre Widerstand dazu. Man solle widersprechen, wenn man davon überzeugt ist. „Ich habe es oft ausprobiert, bin öfters auf die Fresse gefallen. Aber warum nicht unangenehme Wahrheiten aussprechen?“

Ob man ihn einen „Revoluzzerpfarrer“ nennen könnte? Er glaube an keine Revolution und zitiert Christa Wolf: „Wenn ihr aufhörn könnt zu siegen, wird diese eure Stadt bestehn.“ Dann lacht er und meint: „Aber ein bisschen revoluzzen, provozieren, das ist schon was für mich. Das mach ich jederzeit, jeden Scheiß, solange ich andere nicht verletze.“ Das ist Königs Evangelium – in der JG und auf der Straße.