Unterwegs in der ganzen Welt, ohne Ziel und ohne Plan: Nur eine der Möglichkeiten, sich nach der Schule zu orientieren  Foto: Anton Geissmar

Zwischen guten Taten und Selbstfindung

ERFAHRUNGEN SAMMELN Viele junge Leute wissen nicht, was nach dem Abitur kommen soll und machen erst mal ein Jahr Pause. Wie unterschiedlich der Umgang mit dem Jahr nach dem Abitur aussehen kann, berichten vier Jugendliche

von ALBERT WENZEL

„Die vier Monate fühlen sich an wie eine Woche.“ Anton Geissmar entdeckt die Welt: Australien, Indonesien, Singapur, Vietnam, Malaysia und Thailand hat er seit Oktober schon bereist. Gerade ist er in Laos, demnächst geht es wieder zurück nach Australien. Der 18-Jährige lässt sich treiben. „Vorausplanung bringt wenig“, sagt er, auf dem Weg ändere sich sowieso wieder alles. Die einzigen festen Daten seien Flugtermine, er wisse auch schon gar nicht mehr, was für ein Wochentag heute sei.

Reisen ohne Plan

Die Reise finanziert der Abiturient mit seinem Ersparten: Mittlerweile hat er schon gut fünftausend Euro ausgegeben. Neben Unterkunft, Essen und Reisekosten fällt darunter auch die Reisekrankenversicherung für drei Euro am Tag; die gesetzliche Krankenversicherung reicht bei einer Weltreise nicht mehr aus. Einmal hätte Geissmar sie fast gebraucht: Ein Busfahrer schlief während der Fahrt ein, lenkte den Bus auf die Gegenfahrbahn und rammte ein entgegenkommendes Fahrzeug. Mit geplatzter Windschutzscheibe fuhr dann einer der Fahrgäste weiter. „Meine Maßstäbe haben sich auf dieser Reise verändert“, sagt Geissmar.

Heimweh habe er nicht. „Meine Leute sind ja hier“, sagt der Weltreisende. Immer wieder trifft er unterwegs Leute aus seinem deutschen Freundeskreis. Dann verbringt er einige Tage oder sogar Wochen mit ihnen und reist dann allein weiter – mit drei Kilogramm Klamotten und 20 Kilogramm Kameraausrüstung. Der leidenschaftliche Filmer wollte zu Schulzeiten später etwas mit Film studieren. Da ist er sich jetzt gar nicht mehr so sicher. Was er nach seiner Reise machen will, weiß er noch gar nicht. Er weiß noch nicht mal, wann die Reise enden wird und wohin es als nächstes geht. Die USA, Kanada und Grönland stehen unter anderem noch auf seiner Liste. „Ich lasse das auf mich zukommen“, sagt er.

Ganz anders als Schule

Das hätte sich Antonia Will nicht vorstellen können. Um die Welt reisen? Dazu fühlte sie sich nicht im Stande. Die 19-Jährige macht jetzt einen Bundesfreiwilligendienst in einer Kinderkrippe in Hamburg-Hasselbrook. Sie wusste zum Abitur noch nicht, was sie studieren wollte, also suchte sie sich eine „Bufdi“-Stelle. Will wollte gern mit Kindern arbeiten. Sie bewarb sich online bei der Arbeiterwohlfahrt, bekam mögliche Einsatzstellen angeboten und verbrachte dann in der Hasselbrooker Kindertagesstätte einen Probetag.

Im September begann ihr Freiwilligenjahr. Jetzt arbeitet sie fünf Tage die Woche mit den Krippenkindern: Spielen, Streit schlichten, Haushaltsarbeiten. „Ganz anders als Schule“, sagt die Freiwillige. Das war ihr wichtig, sie suchte die Abwechslung. Nach nun fast einem halben Jahr fehle ihr aber auch die intellektuelle Herausforderung. Einzige Abhilfe sind da die 25 Seminartage, an denen sie sich auf von ihrem Arbeitgeber organisierten Fortbildungs-Veranstaltungen zum Beispiel mit Politik und der deutschen Gesellschaft beschäftigt.

In den Seminaren lernt sie auch einige der anderen Freiwilligen kennen und knüpft neue Kontakte. Mit ihr zusammen engagieren sich über 6.000 junge Menschen im Nachfolger des Zivildienstes. Dabei bewirbt man sich auf eine Stelle, bekommt Taschengeld und kann zu Hause wohnen bleiben. Das erfordert – bis auf die Bewerbung – wenig Vorbereitung: Die Freiwilligen sind versichert und haben geregelte Arbeitszeiten. Der Preis dafür ist die Gebundenheit. Die Freiwilligen verpflichten sich zwischen einem halben und einem ganzen Jahr.

Will ist glücklich mit ihrer Aufgabe. Nach der Abwechslung freue sie sich jetzt auch auf das Studium, das so gar nichts mit ihrem Freiwilligendienst zu tun haben soll: „Irgendetwas in Richtung Wirtschaft.“

Auch Jonas Bleckmann ist in Hamburg geblieben. Er arbeitet im Freiwilligen Sozialen Jahr als Schulbetreuer für einen Behinderten an einer Förderschule. Eigentlich wollte er nach dem Abitur Vögel auf einer einsamen Insel bewachen. Das wurde aber nichts, deshalb bewarb er sich auf das Freiwillige Soziale Jahr. Für das Diakonische Werk geht er mit einem geistig und körperlich behinderten Jungen jeden Tag in die Schule und hilft ihm bei der Bewältigung des Alltags.

Schwierige Aufgaben

Anfangs war die Aufgabe für Bleckmann sehr schwierig: „Ich musste den Jungen ja erst mal kennenlernen.“ Wo soll er helfen? Wo muss er helfen? Wie kommuniziert er richtig mit ihm? All das musste er erst herausfinden. Aber für Bleckmann hat sich die Sache gelohnt. „Ich bekomme einfach viel zurück“, sagt der 18-Jährige. Er sehe direkt, dass jemand von seinem Engagement profitiere. Die Verantwortung für einen Menschen zu tragen, fühle sich manchmal schwierig an, aber jetzt „macht es auch einfach viel Spaß“.

So viel Spaß, dass Bleckmann nun sogar darüber nachdenkt, seinen ursprünglichen Studienwunsch, die Philosophie, gegen Sonderpädagogik einzutauschen: „Das ist einfach eine sinnvolle Sache.“

Zweifel am Engagement

Ob ihr Engagement so sinnvoll ist, daran zweifelt Friederike Kantzenbach manchmal. Die 19-Jährige arbeitet in einem Waisenhaus in Mwanza, Tansania. Im Haus „Fonelisco“ leben ungefähr 50 Kinder zwischen drei und 18 Jahren. Sie gibt dort Englischunterricht, spielt mit den Kindern und hilft bei der Organisation. Die Arbeit macht ihr viel Spaß, nur die Sprache setzt Grenzen. Die Kinder sprechen alle nur Swahili, Kantzenbach kann jedoch nur ein paar Brocken. Die Alltagskommunikation funktioniere zwar gut, notfalls über Zeichensprache. „Aber, wenn sie erzählen, warum sie in der Schule geschlagen werden, dann komme ich nicht mehr mit“, sagt die 19-Jährige.

Sie sei sich bewusst, dass dieser Aufenthalt vor allem eine Erfahrung für sie selbst sei. „Nach Afrika zu kommen und zu denken, man helfe hier, ist falsch“, sagt sie. Als ungelernte Abiturientin, der lokalen Sprache nicht mächtig, könnten sie keine bessere Arbeit leisten als Tansanier. Sie selbst aber profitiere davon, dass sie die tansanische Kultur kennenlerne – eine tolle Erfahrung, die sie fortsetzen möchte: „Ich möchte noch viel mehr Zeit im Ausland verbringen.“