Die Frage nach dem Wir Im Pudel Club konntest du herausfinden, wie du dich zu den anderen verhältst
: In der Außenseiterbande

MFOC – Musik Fetischisten Ohren Charakter: So hießen die Sonntagabende im Pudel Club   Foto: Fotos (2): Pelle Buys

von Katha Schulte

Die Anfrage, zu dieser Ausgabe der taz eine Begebenheit aus dem Pudel beizusteuern, erreicht mich auf Mallorca. Mallorca, das steht in jedem Reiseführer, ist das Paradies und als solches nur Leuten empfohlen, die das auch ertragen. Zum Pudel, denke ich, kann ich was beitragen, der Pudel und seine Leute bedeuten mir seit Jahrzehnten etwas. Aber was: die Galerie Nomadenoase, Auftritte wie der von Momus, den Sleaford Mods (die ich verpasst habe) oder Palais Schaumburg, von draußen durchs Fenster gesehen, weil absolut niemand mehr reinpasste? Das waren Superabende – aber zu behaupten, darum gehe es beim Pudel?

Als Reaktion auf den Brand kamen große Gefühle: Dann kann man ja aus Hamburg wegziehen – das habe ich mehrere sagen hören. „Da haben wir uns das erste Mal geküsst.“ Ich war jahrelang nächtelang im Pudel, immer diesseits des Tresens, immer vor der Bühne oder dem DJ-Pult, nur einmal dahinter; als ich ein Buch geschrieben hatte, sollte die erste Lesung dort stattfinden, ich wollte auch mal was geben.

Aufzeichnungen über Pudel­abende, über die Jahre entstanden, erscheinen mir beim ersten Wiederlesen als ungeeignet. Zu fragwürdig, zu brüchig für einen Ort, der so vielen Leuten als Bezugspunkt, wenn nicht als Lebensmittelpunkt gilt. Die Heldin einer Geschichte, um die siebzig, geht in den Club, Musik hören, rumstehen, tanzen; von einem Typen, der sie nicht einordnen kann, mehrfach gegen die Brust gestoßen, ohrfeigt sie ihn. „Dann wurde es eigentlich lustig. Er heult auf und fasst sich mit beiden Händen an den Schädel, das letzte bisschen Sinn fliegt ihm durch die Augen davon, und sagt, ‚ey Alter aua – du hast mich an die Beule gehauen.‘ Er bezeichnet seinen eigenen Kopf als die Beule. Es waren jetzt auch Leute da, die aufgepasst haben.“

Mir selbst so passiert und meiner siebzigjährigen Heldin in die Schuhe geschoben: Im Pudel kannst du angegrabscht werden, demjenigen eine runterhauen, es kann sein, dass niemand für dich Partei ergreift, aber es wird auch nicht eskalieren. Das bedeutet mir der Pudel? Hm. Eine andere Geschichte wiederum, die ihm richtig Ehre machen sollte, ist aus lauter Kalauern zusammengeschmiedet, eine Art Schmierentheater nicht enden wollender Sommernächte, in denen niemand von nichts genug bekommt. Da könnte man denken, im Pudel geht es zu wie auf einer Laienbühne, es verkehren Leute dort, die Drogen nehmen, und sie verkehren dort unter den Tischen statt auf. Aber was man denken soll, denkt man sich selber aus.

Ende der Nullerjahre sagte mal ein Mensch Anfang zwanzig zu den Leuten, mit denen ich vor dem Pudel saß, ihm gefalle, dass wir dort seien, wir seien wohl früher immer hergekommen. Das fanden wir lustig: Denn wir gingen doch jetzt dorthin, der Pudel handelt immer von jetzt, kein Platz zum Nostalgischsein.

Meine Aufzeichnungen aus den Neunzigerjahren führen mich dennoch an einen Ort, an dem ich lange nicht war, sie handeln von Nächten der Zerrüttung, unter dem Eindruck von Meute und Herde. Und wahrscheinlich stimmt das alles zugleich und ist nicht nur privater, persönlicher Sinn des Pudels, der mich hier jetzt einen Text mit viel „ich“, wenig „man“ und noch weniger „wir“ schreiben lässt, sondern genauso öffentlicher.

Denn im Pudel liegen Sinn und Nonsens eng beieinander, liegt, was allgemein ist ,und was persönlich, Wand an Wand oder Haut an Haut, er taugt als Widerstand und Reibungsfläche. Das Paradies lässt sich eine Woche lang auf Mallorca aushalten; aus dem Selberleben, dem Zusammentreffen mit anderen, der Anziehung und der Abstoßung durch andere entstanden über die Jahre Modelle davon, wie man leben möchte, gleichzeitig für alle, und für alle unterschiedlich, als ideeller Ort und als Realort.

Nur um Musik ging es hier nie: DJ-Arbeitsplatz, inzwischen mit zwei Turntables

In den Pudel gehen, das hieß für mich von Anfang an: herausfinden, wer und wo du in Gruppen sein willst, dein Verhältnis zum Mainstream und zur Randständigkeit; in der Mitte, am Rand, mit dem Rücken zur Mitte, mit dem Rücken zur Wand. Immer schob sich jemand vor dich oder zwischen euch, befand man sich in einer beweglichen Choreografie aus einer oder mehreren Gruppen aus mehr oder weniger zahlreichen Teilen.

Auf der Tanzfläche ist das leicht; aber ganz handgreiflich hieß es auch, wer bindet beim Reden die meiste Aufmerksamkeit, dauernd neue Gruppen formierend draußen im Pudelvorhof, da ging es auch um Einflussnahme. Das waren anstrengende, schmerzhafte Prozesse, man wollte doch so gern ein Wir, man wollte etwas verstehen vom Wir genauso wie vom ewigen Einzelmenschentum, in dem man steckte.

Als alle Optionen durchgespielt waren, kam für mich am attraktivsten, und überraschend, das Wort Außenseiterbande als gesellschaftliches Rollenmodell heraus, für andere ein ganz anderes Wort, für wieder andere vielleicht etwas, das ohne Worte ging. „Noch naht kein Weh; hell sind Stimmen und Kleidung; die von ihnen durchwachten Nächte; mehr Gewalt, mehr Streit; lautere Stimmen dringen herauf, teilweise von unter den Tischen, teilweise aus dem Innern des Lokals, wo man tanzt und sich prügelt; alles Geld ist ausgegeben, die Wirtschaft auf Pump; ,ich werd mal einen verhaften‘, sagt der Polizist, ihm gehen die Augen über; ,lass gut sein‘, sagt die Wirtin, ,lass gut sein; komm!‘“

Katha Schulte ist Autorin und lebt in Hamburg; im Hablizel-Verlag erschien 2011 ihr Roman „Unwesen“