Hipster gehen nicht zu Hertha

FANS Nur 36.608 Zuschauer sahen am Mittwoch den 2:0 Sieg der Hertha gegen Frankfurt. Wohl auch deshalb, weil es in Fan-Kneipen wärmer ist als im Olympiastadion

So schön war es lange nicht, Fan von Hertha BSC zu sein Foto: Karsten Thielker

von Andreas Hartmann

Englische Woche, auch Hertha BSC muss ausnahmsweise an einem Mittwoch in der Bundesliga ran gegen Eintracht Frankfurt. In der ersten Halbzeit gurkt Hertha ein wenig herum gegen solide Frankfurter, hat Glück, dass der Schiedsrichter nicht gleich zu Beginn der Partie die rote, sondern nur die gelbe Karte herauskramt.

Dann aber in der zweiten Halbzeit: Der junge Mitchell Weiser zieht ab, direkt unter die Latte, Tor. In der Neuköllner Fan-Kneipe „Herthaner“ drehen sie durch. Der Laden ist gut gefüllt, Blau-Weiß sind hier die bestimmenden Farben, und ohne wenigstens einen Hertha-Fan-Schal um den Hals schaut hier kaum jemand vorbei. Tor also für Hertha.

Ein Tor, eine Runde

Wirtin Rosi holt die Schachtel mit den Feigenschnäpsen raus und schmeißt eine Runde, das ist hier so üblich. Ziemlich routiniert läuft das ab, in der letzten Saison, wo Hertha bis zum Schluss um den Klassenerhalt bangen musste, hätte Rosi bei einem Tor für ihren Verein wahrscheinlich gar nicht gewusst, wohin noch mal sie ihre Feigenschnäpse verkramt hat.

Alle klappern mit den kleinen Flaschen auf den Tischen, auch das ist so ein Ritual hier, dann ruft die Chefin „Prost, ihr Säcke!“ und bekommt erwidert „Prost, du Sack!“. Fußballerkneipe halt. Ach, wie herrlich muss es gerade sein, Fan von Hertha BSC Berlin zu sein. Dritter in der Liga, beste Chance auf die Teilnahme in einem europäischen Wettbewerb, unter Umständen sogar, man traut es sich kaum zu sagen, winkt: die Champions League.

Alexandra und David, die beide 22 Jahre alt sind, ziemlich smart aussehen und unter all den knorrigen Fans im „Herthaner“ ein wenig so wirken, als hätten sie sich verlaufen, wollen das kleine Hertha-Wunder jetzt erst mal einfach nur genießen, auch weil sie als Hertha-Fans nur zu gut wissen, wie flüchtig diese Glückseligkeit sein kann. „In dieser Saison ist die Euphorie groß, aber schon in der nächsten können die Sorgen zurückkehren“, sagt David, „dafür gibt es in der Hertha-Geschichte ja genügend Beispiele.“

Rosi, die Chefin der Fan-Kneipe, will noch nicht so weit vorausdenken. „Gerade ist die Stimmung einfach gut“, sagt sie, „es wird viel gemeckert, viel geschimpft, aber eigentlich ist alles gut. Am Ende der Saison wird die Hertha unter den ersten fünf sein.“ Als Salomon Kalou das zweite und spielentscheidende Tor für die Hertha schießt, muss Rosi erst mal wieder schnell ihre Feigenschnäpse verteilen.

„Prost, ihr Säcke“, ruft Rosi. „Prost, du Sack“, antworten die Gäste des „Herthaners“

Wer für das unerwartete Hoch ihres Lieblingsvereins verantwortlich ist, darüber sind sie sich hier einig, die junge Ale­xandra genauso wie Rosi: Hertha-Trainer Pál Dárdai. Dirk, Stammgast im „Herthaner“ und stilecht mit Fan-Kutte am Tresen sitzend, sieht das genauso, hat aber noch weitere Gründe für Herthas Hoch auf Lager: Trainer, Torwart Rune Jarstein, Stürmer Vedad Ibišević, Mittelfeldstratege Mitchell Weiser.

In dieser Reihenfolge. Zu Michael Preetz, Geschäftsführer der Hertha, der in den letzten Jahren zuverlässig für alles verantwortlich gemacht wurde, was schlecht lief, sagt Dirk immerhin ausdrücklich nichts.

Das ist beinahe schon wie ein Kompliment an diesen, „immerhin haben seine Neuverpflichtungen in dieser Saison alle richtig eingeschlagen.“ Keiner erwarte, fügt er noch hinzu, dass seine Hertha am Ende der Saison wirklich auf Platz drei stehen wird. „Für derartige Träume sind wir einfach schon zu lange Hertha-Fans“, pflichtet ihm seine Freundin Grit bei.

Bombenstimmung, gepaart mit zarter Skepsis im „Herthaner“ also. Bis das Hertha-Hoch in ganz Berlin einschlagen wird, wird es wohl noch eine Weile dauern. Um die Ecke des „Herthaners“, in einer Hipsterkneipe, schauen sie gerade auch Fußball auf der großen Leinwand: Leverkusen gegen Bremen.