Fortschritt ist möglich

SPD-Veteran Johano Strasser hat einen Aufruf zu Optimismus und Einmischung geschrieben

Vielleicht haben in einigen Jahren viele Leute eigene 3-D-Drucker zu Hause, mit denen man sehr billig Konsumgüter produzieren kann – Haushaltsgeräte, Fahrradteile, Brillen und andere Dinge. Das wäre ein Weg, Autonomie zu gewinnen von Unternehmen und Lohnarbeit, von Kaufen und Verkaufen. „Konviviale“, beherrschbare Technik könne durchaus eine neue Art von Lebensqualität bringen, hofft Johano Strasser in seinem Buch „Das Drama des Fortschritts“.

Der Autor, 76, war Anfang der 1970er Jahre Vizechef der SPD-Jugendorganisation Jusos, unterrichtete als Politologe an der Freien Universität Berlin, arbeitete lange in führender Position des Schriftstellerverbandes PEN-Zentrum und ist immer noch Mitglied der Grundwertekommission der SPD. In seinem neuen Buch geht er von der Frage aus: „Wird es unseren Kindern und Enkeln besser gehen als uns?“ Seine Antwort: Ja, das ist möglich.

Damit wendet Strasser sich gegen eine verbreitete, skeptische Grundstimmung. Wer heute im Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis über solche Themen spricht, wird häufig dieselbe Erfahrung machen wie er: Die Gesprächspartner halten Fortschritt für unwahrscheinlich. Die politischen, humanitären und technischen Katastrophen seit dem 20. Jahrhundert haben ihnen den Glauben daran ausgetrieben. Und augenblicklich scheint die Aussicht auf die globale Klimaveränderung wenig Spielraum für Optimismus zu lassen.

Andererseits sehen auch heute noch knapp die Hälfte der Deutschen in Fortschritt einen Sinn, wie Strasser aus Umfragen zitiert. Vermutlich hat das mit den praktischen Verbesserungen zu tun, die der Alltag bereithält. Das neue Auto hat sechs Airbags statt vier, das Smartphone eine leistungsfähigere Kamera, und bald kommen die Lebensmittel vom Supermarkt vielleicht per Drohne. Zu solchen Annehmlichkeiten ist unsere technisch-wissenschaftliche Zivilisation immer noch in der Lage. Im Großen und Ganzen jedoch – politisch, ökonomisch, sozial, menschlich – komme unsere Gesellschaft nicht mehr vorwärts. Dieser ­Pessimismus ist laut Strasser überall zu spüren.

Im Verlauf seines Buches unternimmt der Autor nun Zweierlei: Erstens schreibt er die Geschichte der Fortschrittsidee, analysiert ihren Boom seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert und erklärt ihren Verfall im Zuge des Ersten Weltkriegs, des Faschismus und der industriellen Umweltzerstörung seit den 1950er Jahren. Zweitens unternimmt er den Versuch, ein geläutertes Fortschrittsideal neu zu begründen. Dabei stützt Strasser sich unter anderem auf die Arbeiten des Münchner Soziologen Ulrich Beck, der das Konzept eines „reflexiven Fortschritts“ propagierte.

Elemente einer solchen Theo­rie und Praxis wären unter anderem: Technische und wissenschaftliche Entwicklungen müssten rechtzeitig im Hinblick auf ihre möglichen Folgen geprüft und nötigenfalls gestoppt werden können. Etwa die umstrittene Erdöl-Fördermethode des Frackings dürfe man nur anwenden, wenn ihre Ungefährlichkeit für Natur und Menschen nachgewiesen sei. Strasser will eine neue Art Fortschritt, die demokratisch ausgehandelt wird und nicht über die Bürger hereinbricht.

Dafür allerdings bräuchte es politische Institutionen, die diesen Aushandlungsprozess zuverlässig auch gegen ökonomische Machtinteressen durchsetzen. Heute existieren solche Schutzmechanismen selbst in demokratischen Gesellschaften wie Deutschland nur ansatzweise.

Dass es sie in Zukunft einmal geben könnte, kann man hoffen. Sicher ist das nicht. Ebenso wenig die Möglichkeit, quasi kostenlose Konsumgüter mit 3-D-Druckern zu Hause herzustellen. Dafür müsste schließlich die entsprechende Software frei verfügbar sein – was Unternehmen keine Freude macht, wenn die ökonomischen Einbußen für sie zu groß werden. Genau hier liegt freilich der Wert von Strassers Buch. Er sagt: Fortschritt ist noch immer möglich, die Bürger müssten ihn allerdings auch durchsetzen wollen. Er hat einen Aufruf geschrieben, sich einzumischen und die Zukunft zu gestalten. Hannes Koch

Johano Strasser: „Das Drama des Fortschritts“. Dietz Verlag, Bonn 2015, 422 Seiten, 34 Euro