Den Wahnsinn mit Wahnsinn austreiben

IRDISCH Alltag und Triebunterdrückung: „Des nouvelles de la planète Mars“ von Dominik Moll (Wettbewerb, außer Konkurrenz)

Mars (François Damiens) als Hundesitter und Chloé (Veerle Baetens) in „Des nouvelles de la planète Mars“ Foto: Michael Crotto/Berlianle

von Tim Caspar Boehme

Wo leben wir eigentlich? Der Informatiker Philippe Mars (François Damiens) träumt sich nachts ins All, schwebt im Astronautenanzug langsam der Erde zu. Bis der Wecker oder sein Handy klingelt und den Landevorgang abrupt verkürzt. Was unschön ist, denn Mars hat auf der Erde nur Frust zu erwarten. Seine Frau, von der er getrennt lebt, lädt bei ihm die Kinder ab, ohne sich an Absprachen zu halten.

Nervende Kinder

Die Kinder selbst nerven ihn mit radikalem Vegetarismus oder familienfeindlichem Strebertum, bei der Arbeit muss er seinen psychisch auffälligen Kollegen Jerôme (Vincent Macaigne) bewachen, und für seine Schwester ist er lediglich als Hundesitter in der Not von Bedeutung. Mars begegnet all dem mit größtmöglicher Abgeklärtheit, seinen Frust behält er, so gut es geht, für sich. Seine Maxime ist: Probleme vermeiden.

Die beginnen sich bei ihm jedoch immer stärker zu häufen: Der nervenkranke Jerôme, der zwischenzeitlich in der Psy­chia­trie gelandet ist, steht eines Nachts vor seiner Tür und begehrt Unterschlupf, weil er ausgebrochen ist. Und stellt immer dreistere Forderungen an seinen neuen „Freund“. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem auch Philippe nicht mehr weiterweiß.

Der französische Regisseur Dominik Moll erzählt in „Des nouvelles de la planète Mars“ eine freundlich-böse Parabel über Entfremdung und Fremdbestimmung. Er lässt seinen Protagonisten so passiv auf die Umstände reagieren, dass sie seinen eigenen Bewegungsradius immer weiter einschränken. Wie ein Gorilla im Käfig, der sich von den Gitterstäben fernhält, um ihre Gegenwart weniger deutlich zu spüren, muss er sich an einem Punkt vorhalten lassen.

Tatsächlich ist Philippe mit seiner gutmütigen Art bereit, sich so viel gefallen zu lassen, dass man sich fragt, wie viel von seinem eigenen Leben eigentlich noch übrig bleibt. Damiens gibt diesen „Loser“, als den ihn der Freund seiner Tochter einmal bezeichnet, mit fassungsloser Schicksalsergebenheit. ­Vincent Macaigne ist als Jerôme der Gegenspieler – ein Großteil der Chemie des Films wird von dieser Konstellation bestimmt.

Philippe Mars hat auf der Erde nur Frust zu erwarten

Wobei sich die Frage, welcher Wahnsinn nun der gravierendere ist – der von Jerôme oder der Alltagswahnsinn von Philippe – zusehends verschiebt. Moll, der mit „Harry meint es gut mir dir“ im Jahr 2000 eine ähnlich gebaute Geschichte über einen Ausbruch aus den Zwängen von Alltag und Trieb­unterdrückung mit begnadetem schwarzen Humor erzählt hat, will diesmal ein bisschen viel.

Schöne Irrsinnsbilder

Die Entscheidung, den Film außer Konkurrenz laufen zu lassen, ist daher nachvollziehbar. So schön die Irrsinnsbilder auch sind, die Moll findet – ein Boss, der Philippe regelmäßig Fruchtgummis in Gestalt von Schlümpfen oder Krokodilen anbietet, ein monströses Hackmesser, das Jerôme mit zur Arbeit bringt, um sich damit zu „beruhigen“ – am Ende weichen sie mehr und mehr einem auf den buchstäblich großen Knall zusteuernden Action-Finale, das die Grenze zum Klamauk dann doch zum Nachteil des Films überschreitet.

21. 2., 14.45 Uhr, Berlinale Palast