: Erzieherinnen mit Universitätsdiplom
Qualifikation Im pädagogischen Bereich fehlt es an Personal. Berlins Anerkennungspraxis ausländischer Abschlüsse aber könne zur „Dequalifizierung“ eingewanderter Fachkräfte führen, fürchtet die Linkspartei. Diese würden in schlechter bezahlte Berufe gedrängt
von Alke Wierth
Was ist eigentlich ein Schulhort? Was sind freie Träger? Welche Aufgaben und Befugnisse hat ein Berliner Jugendamt? Für PädagogInnen, die ihren Berufsabschluss im Ausland gemacht haben, gibt es vor dem Eintritt ins deutsche Arbeitsleben noch viel zu lernen. Doch sie bringen auch eine Menge mit.
Fast alle der 18 eingewanderten Frauen und Männer, die am Anna-Freud-Oberstufenzentrum (OSZ) für Sozialwesen derzeit die letzten Monate einer zweijährigen Ausbildung zu staatlich anerkannten ErzieherInnen absolvieren, haben mehrjährige pädagogische Berufserfahrungen in ihrem Herkunftsland gemacht. Und: Alle haben dort ein pädagogisches Studium abgeschlossen.
Dass ihr Studienabschluss ihnen in Deutschland zu nicht mehr verhilft als der Verkürzung der sonst dreijährigen ErzieherInnenausbildung um ein Jahr, liege an der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung, erklärt Susanna Olie, Abteilungsleiterin der Fachschule für Sozialpädagogik des Anna-Freud-OSZ: „Die gibt nicht mehr her.“
Wer eine Ausbildung im Ausland gemacht hat und damit in Deutschland in seinem Beruf arbeiten möchte, muss diese zuvor anerkennen lassen – im Handwerk oder Handel etwa von den Kammern, bei staatlich geregelten Berufen wie Ärzten, ErzieherInnen, Lehrern von staatlichen Stellen. Für pädagogische Berufe ist in Berlin die Anerkennungsstelle der Senatsverwaltung für Bildung zuständig. Dort werden die mitgebrachten Qualifikationen mit hiesigen Ausbildungsinhalten und Berufsanforderungen verglichen.
Natürlich werden manche ausländischen Ausbildungen oder akademischen Abschlüsse – etwa aus einigen EU-Ländern – dabei auch anerkannt, wobei immer ausreichende Deutschkenntnisse nachgewiesen werden müssen. Scheitern kann die Anerkennung zumal in staatlich zertifizierten Berufen wie bei Lehrer- oder ErzieherInnen etwa an kürzeren Ausbildungszeiten, fehlenden Ausbildungsinhalten – oder der falschen Berufserfahrung.
Etwa 15.000 bis 25.000 der gut 47.000 im Jahr 2015 von Berlin aufgenommenen Flüchtlinge werden Schätzungen zufolge auf den Arbeitsmarkt kommen. Welche beruflichen Qualifikationen sie mitbringen, wird erst erfasst, wenn sie nach positivem Abschluss ihres Asylverfahrens von den Jobcentern betreut werden.
Laut der GEW müssen in Berlin in den kommenden Jahren auch aufgrund vieler Pensionierungen gut 10.000 Lehrkräfte neu eingestellt werden. Aktuell fehlen allein an Grundschulen etwa 1.000 LehrerInnen. Den ErzieherInnenmangel beziffert die GEW ebenfalls auf etwa 1.000. (taz)
In der HochschulabsolventInnenklasse der Anna-Freud-Schule sitzen PädagogInnen aus Vietnam und Polen, aus Griechenland, Südamerika, arabischen Ländern und dem kurdischen Nordirak. Eine Lehrerin hat nach dem Studium in ihrer Heimat an einer privaten statt einer staatlichen Schule gearbeitet, weshalb ihr Abschluss nicht anerkannt wurde. Eine andere, EU-Bürgerin, hat ihr Studium an einer Fernuni durchgeführt – ebenfalls ein Ablehnungsgrund. In ihrem Heimatland arbeiteten Erzieherinnen ausschließlich in Waisenhäusern, erzählt eine Kurdin. Wer im Kindergarten arbeite, habe die gleiche akademische Ausbildung wie GrundschullehrerInnen. Die ist aber zu kurz für die Anerkennung in Berlin.
Elke Breitenbach, Sprecherin für Arbeit und Soziales der Linken-Fraktion im Abgeordnetenhaus, sieht in dieser Anerkennungspraxis eine „Abqualifizierung“ von eingewanderten und geflüchteten Fachkräften: Wessen Ausbildung oder Studienabschluss hier nicht anerkannt werde, werde beim Jobcenter als „ungelernt“ erfasst. Und greift dann eben auch als studierte Lehrkraft nach jedem Strohhalm wie einer um ein Jahr verkürzten ErzieherInnenausbildung – um dann in einem schlechter bezahlten Job zu landen.
Die Gefahr solcher Abqualifizierungen sieht die Linkspartei nicht nur bei PädagogInnen: Die Einführung des Berufsbilds PflegehelferInnen als Qualifikation unterhalb der klassischen Ausbildung von Gesundheits- und KrankenpflegerInnen berge die Möglichkeit zur „Dequalifizierung“ eingewanderter oder geflüchteter Fachkräfte, kritisierte kürzlich der gesundheitspolitische Sprecher der Linksfraktion Wolfgang Albers. Examinierten ausländischen Pflegekräften werde der Berufseinstieg als PflegehelferInnen ohne formale Anerkennung ihrer mitgebrachten Abschlüsse angeboten – mit der Option der Weiterqualifizierung zu anerkannten Fachkräften. „Doch wie viele werden das in Anspruch nehmen“, fragt Elke Breitenbach. Denn Qualifizierung und die Anerkennung von Abschlüssen sind auch mit Kosten verbunden.
Die Linke kritisiert den Umgang des Senats mit qualifizierten EinwanderInnen und Flüchtlingen in der Breite: „Es fehlt ein Gesamtkonzept“, sagt Breitenbach. Berufs- oder Studienabschlüsse würden etwa bei der Registrierung Geflüchteter nicht erfasst, es fehle angesichts der hohen Zahl von ZuwanderInnen aus verschiedenen Ländern mit entsprechend unterschiedlichen Ausbildungen an für deren Beurteilung qualifiziertem Beratungspersonal in hiesigen Ämtern und Beratungsstellen.
Zwar hat die zuständige Arbeits- und Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) bereits seit längerem einen Arbeitskreis ins Leben gerufen, in dem Behörden, Kammern, Jobcenter, Berufsvertretungen die Probleme lösen sollen – doch Behörden mahlen langsam.
Susanna Olie von der Fachschule für Sozialpädagogik
Die angehenden ErzieherInnen in der Klasse für ausländische HochschulabsolventInnen der Anna-Freud-Schule ficht das nicht an. Die meisten von ihnen sind froh, endlich eine Chance bekommen zu haben. Die Ausbildung wird vom Jobcenter finanziert. Manche haben schon vorher versucht, auf anderen Wegen Qualifizierung zu erlangen. „Wir sind froh, dass hier alle Probleme mit den für uns neuen deutschen Fachausdrücken haben und es nicht peinlich sein muss, wenn man die noch nicht kennt“, sagt eine Südamerikanerin, die zuvor in einer normalen Klasse die Ausbildung versucht hatte und gescheitert war.
In der ErzieherInnenklasse für ausländische HochschulabsolventInnen haben nur zwei der anfangs zwanzig SchülerInnen unterwegs aufgegeben. Eine zweite Klasse ist derzeit im ersten Jahr der Ausbildung. Und das Modellprojekt, das die Fachschule mit der Gesellschaft für interkulturelles Zusammenleben GIZ durchführt, soll im nächsten Schuljahr einen dritten Jahrgang aufnehmen.
Die Jobaussichten der AbsolventInnen, die teils mehr als zwei Sprachen beherrschen und alle über interkulturelle Kompetenz verfügen, sind auf dem von ErzieherInnen leergefegten Berliner Arbeitsmarkt ausgezeichnet: „Sie sind eine Bereicherung“, sagt Susanna Olie von der Anna-Freud-Schule. Sie geht davon aus, dass alle der hoch motivierten TeilnehmerInnen die demnächst bevorstehende Abschlussprüfung bestehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen