Kritik der Woche: Jan P. Koopmann über Fischtown-Krimis
: Ein Ort der Niedertracht

Bremerhaven mordet aus Frust über das verpatzte Leben, aus Enttäuschung über die Liebe – und manchmal auch als allgemeine Rache für eigentlich nichts Konkretes. Angelika Grieses Krimisammlung „Wer mordet schon in Bremerhaven?“ lässt frus­trierte Hausfrauen aufbegehren und auf Ehemänner, Schulzeit-Rivalinnen und Schwiegermütter losgehen. Meistens wird ertränkt. In der Nordsee, weil wir es hier schließlich mit einem Regionalkrimi zu tun haben.

Und das ist ganz schön harte Kost im unerfreulichen Sinne: Das Buch liest sich ohne jede Lust, weil die Figuren platt und frei von Witz entwickelt sind. Oft ist nach dem ersten Adjektiv („gemein“, „fies“, „hinterhältig“) klar, wer hier durch wessen Hand zu sterben hat. Das sind auch keine Befreiungsschläge, die man den Täterinnen ja durchaus gegönnt hätte. Nach Grieses Schema wird sich nämlich erst gewehrt, dann der Triumpf der Guten ausgekostet und erst zum Schluss – wenn alles wieder gut ist – noch schnell der jeweilige Blöde um die Ecke gebracht. Der Mord ist die nachgetragene, offenbar irgendwie verdiente Strafe.

Bemerkenswert ist nur der unverhüllte Versuch, diesem frustrierten Elend noch Marktwert abzuringen: „Ich habe mich nur gewehrt“, flüstert Hermine nach der Tötung ihrer Schwiegermutter zum Ende der Geschichte. Und weiter: „Heute stand das Deutsche Auswandererhaus auf dem Programm.“ Das steht so nicht nur wirklich in dem Buch, sondern ist dazu noch fettgedruckt. Auf jede Geschichte folgt ein Serviceteil, der die unmotiviert aufgeführten vermeintlichen und echten Sehenswürdigkeiten vorstellt: mit Öffnungszeiten, Internetadresse und allem Drum und Dran.

Im folgerichtig von Bremerhavens Tourismus-Chef Raymond Kiesbye stammenden Vorwort werden noch alte Zeiten beschworen: Hafenkaschemmen mit Ganoven, Soldaten und so weiter. Dass es dieses Setting nicht mehr gibt, ist für Bremerhaven nicht nur wegen seiner Kriminalliteratur bedauerlich.

Spannend ist heute, wie die abgehängte Stadt das Kunststück vollbrachte, sich für die Touristen rauszuputzen – von denen ja dann tatsächlich auch einige kamen. Und selbstverständlich ließen sich darüber auch ausgezeichnete Krimis schreiben, die dann auch wirklich etwas über die Stadt zu sagen hätten: „Blutiger Filz im Rathaus“ vielleicht, „Die Efre-Verschwörung“ – oder notfalls auch was weniger Albernes. Aber rachsüchtige Landfrauen? Die ohne einen Hauch von Ironie Leute hinschlachten, die doch im Grunde auch nichts dafür können, in Bremerhaven leben zu müssen? Das sollen die Fischtown-Insassen dann lieber unter sich ausmachen.

Angelika Griese: „Wer mordet schon in Bremerhaven?“, Gmeiner, 247 S., 9,99 Euro