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Ein bisschen einzigartig

Schalttag Manche, die am 29. Februar geboren sind, freuen sich, wenn es den Tag wie dieses Jahr gibt. Andere sind gestresst. Warum?

Entdeckt jemanden den 29.? Foto: Frauke Thielking/ plainpicture

von Waltraud Schwab

Soll ich mich freuen? Ja, soll ich. Mal wieder Geburtstag und so. Nur, ich hadere. Das ist eine persönliche Sache.

Ich kann nichts dafür, dass ich am 29. Februar zur Welt kam, nicht allzu lange nach Mitternacht. „Jetzt komm schon, komm schon.“ Meine Mutter wollte nicht, dass ich an diesem Nichttag rauskomme. Aber ich ließ auf mich warten. Noch nicht geboren und schon unartig. Wäre es nach meiner Mutter gegangen, hätte man einen Deal gefunden, dass meine Geburt einen Tag früher war. Der Arzt war dagegen.

Meine Mitwelt versteht es nicht: Ich bin glücklich, wenn kein 29. ist, und irritiert, wenn es einen gibt. Warum denn? Weil Magie im Spiel ist, wenn keiner ist: Es ist etwas, mein Geburtstag – der doch gleichzeitig nicht ist. Ist aber einer, ist mir schwindlig.

Andere Schalttaggeborene, wie die Kollegin von taz.nord, sehen das umgekehrt: Endlich ein 29., findet sie. Ich wusste, dass bei taz.nord jemand arbeitet, der am gleichen Tag Geburtstag hat wie ich. Sie wusste es nicht. „Ich habe noch nie jemanden kennengelernt“, sagt sie. Ist da eine Spur Enttäuschung in ihrer Stimme? Weil das Alleinstellungsmerkmal weg ist? Denn eines ist gewiss: Dieses Datum macht einen besonders – aber wenn es auch andere gibt, dann ist es schon weniger besonders. Entschuldige, Kollegin.

Genau 2.293 Menschen, die am Schalttag geboren wurden, leben laut Statistischem Landesamt in Berlin. Wäre das ein Durchschnittswert für Geburtstage an jedem Tag im Jahr, würde die Bevölkerung Berlins um mehr als drei Viertel auf nur 836.845 Menschen schrumpfen. Ist da Schmu im Spiel? Feiern Unzählige, die eigentlich am 29. Februar geboren wurden, am falschen Tag?

Egal, irgendwo müssen die verbliebenen 1.135 Berliner und 1.158 Berlinerinnen sein, denen die Kalenderkorrektur wie ein Verdienstkreuz an der Brust hängt. Alle müssen ertragen, dass es noch andere gibt.

Ich kenne wunderbare Geschichten, die die Koketterie mit dem Einzigartigen zeigen. Hier sind drei:

Die Erste: Einmal war ein Kollege in der Berlin-Redaktion. Er war ein wenig narzisstisch veranlagt, soll heißen, eigentlich zu gut für die Lokalredaktion, nur dass es niemand zur Kenntnis nahm. „Ich hab eine Tante, die hat auch am 29. Geburtstag. Die ist aber nett“, sagte er. „Aber“, kreische ich. Nicht nur, dass ich das Außergewöhnliche nun teilen muss, was bezogen auf die Geburtstagskoketterie fast unerträglich ist, diese Frau hat im Gegensatz zu mir noch einen entscheidenden Vorteil: Sie ist nett!

Die Zweite: Einmal stand ich an einem 28. Februar im Blumenladen. Es war kein Schaltjahr. Vor mir ein Teenager. So, dass alle es hören, sagt die Mutter, dass ihr Töchterchen sich an ihrem ausfallenden Geburtstag dennoch einen Blumenstrauß aussuchen solle. Da stand die Kleine, und es war klar, sie genoss das Anderssein. Ich wollte ihr das Terrain nicht überlassen und sagte: „Ich hab auch am 29. Geburtstag.“ Ihr Blick war vernichtend. „Wo wa bei sind“, sagte die Kundin, die hinter mir in der Schlange stand, „meene Tante ooch.“ Da war ich sauer auf die Tante dieser Frau.

Die dritte Geschichte geht weit über Geburtstagseitelkeiten hinaus: Es gibt eine Kollegin in der Fotoredaktion der taz. Jahrelang war es so: Wenn wir uns trafen, gerieten wir aneinander. Wir brauchten dabei noch nicht einmal etwas zu sagen. „Ich kriegte Schreikrämpfe, wenn ich sie von Weitem sah“, sagt die Fotoredakteurin. Sie erzählt es erst, seit keine Rasierklinge mehr zwischen uns geht. Irgendwann nämlich standen wir – geschützt durch andere – zusammen vor der taz. Smalltalk gab’s, Sternzeichen das Thema.

Meine Mutter wollte nicht, dass ich an diesem Nichttag rauskomme

Es stellte sich heraus, dass die Kollegin aus der Fotoredaktion Widder ist, wie meine Mutter. Und ich bin Fisch, wie ihre Mutter. „Ah, das erklärt vieles“, sagten wir wie aus einem Mund und dachten an unsere Mütter – unsere Lieblingsfeindinnen.

Dass es nicht an uns, sondern an den Sternzeichen lag, dass wir nicht miteinander konnten, half ein wenig. Ein, zwei Jahre später ergab es sich, dass wir wieder zusammenstanden mit anderen. Es war Fischezeit, Geburtstage waren das Thema. „Du bist doch auch Fisch. Wann hast du Geburtstag?“, fragte die Kollegin aus der Fotoredaktion, mit der ich einst nicht konnte. „Am 29. Februar“, antworte ich. „Ah, wie meine Mutter“, sagte sie.

Es war ein Schock. Für uns beide. Nicht nur das gleiche Sternzeichen, auch noch der gleiche Tag. Ich bin erst mal Kaffee trinken gegangen und dachte noch, „was, wenn sie am gleichen Tag wie meine Mutter Geburtstag hätte“. Auf dem Rückweg frage ich sie: „Du hast aber nicht am 4. April Geburtstag?“ „Doch“, sagt sie. „Wie meine Mutter“, sag ich. „Das gibt es doch nicht!“

Es dauerte, bis wir das verdaut hatten. Vor allem, weil der Zufall eine Umdrehung zu mächtig ist in dieser Geschichte und wir nicht wissen, warum. Seither schenken wir uns Blumen zum Geburtstag. Es ist ein wenig, als beschenkten wir unsere Mütter.

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