Will hoch hinaus: Udo Wolf, Fraktionschef der Linken, ist ein begeisterter Bergsteiger und engagiert sich im AlpinClub Berlin, wo das Bild entstand Foto: Uwe Steinert/imago

„Müller möchte nicht mehr mit der CDU“

DIE LINKE Fraktionschef Udo Wolf will nach der Abgeordnetenhauswahl am 18. September mitregieren, aber bis dahin den Senat weiter scharf kritisieren. Auf der Klausurtagung in Erfurt am Wochenende will Wolf erkunden, wie es sich mit SPD und Grünen koaliert

interview Stefan Alberti

taz: Herr Wolf, gefällt Ihnen eigentlich die Abkürzung R2G? Das klingt doch mehr nach R2D2 aus „Star Wars“ oder einer chemischen Formel als nach einer rot-rot-grünen Koalition?

Udo Wolf: Mir fällt dazu noch „Beipackzettel“ ein.

Das wiederum klingt nun mehr nach Risiken und Nebenwirkungen.

Das Kürzel hat ja einen ernsthaften Hintergrund. Sowohl auf Bundesebene als auch in Thüringen hat es eine ganze Reihe von Versuchen gegeben, gegenüber Sozialdemokraten und Grünen deutlich zu machen, dass R2G so etwas wie eine politische Marke werden kann. Dass das, was die Wahlforschung als mögliches politisches Lager beschreibt, als konkrete politische Konstellation gegen die CDU kenntlich wird. In Thüringen hat dieses R2G nun einen gewissen Erfolg, unabhängig davon, dass es ein bisschen seltsam klingt.

Wobei dieser Erfolg und das erstmalige Zustandekommen einer solchen Koalition in Thüringen ja sehr stark von der Person Bodo Ramelow abhing.

Aber nicht nur von ihm, sondern von allen Akteuren dort und einer Linken, die sich sehr intensiv auf diese Möglichkeit vorbereitet hat. Ziel war, politische Schnittmengen so zu mobilisieren, dass man sie in einer solchen Konstellation nicht in permanenter Konkurrenz gleich wieder kaputt macht.

Ramelow soll an diesem Freitag bei Ihrer Fraktionsklausur in Erfurt von seinen Erfahrungen berichten – tagen Sie allein aus diesem Grund dort?

Es geht dort natürlich auch um den Austausch über eine Dreier­koa­lition, die uns interessiert. Wie eine Zweierkoalition funktioniert, wissen wir ja, weshalb es auch kein Zufall ist, dass in der Thüringer Regierung jetzt frühere Berliner Akteure der Linken mitwirken

… Benjamin Hoff und Günter Kolodziej, hier früher Staatssekretär und Vizesenatssprecher, dort Minister und Regierungssprecher.

Da haben wir in der Tat eine ganze Reihe von Koalitionserfahrungen nach Thüringen bringen können. Na, und dann gibt es da noch einen viel zu wenig beachteten Beschluss unseres Bielefelder Bundesparteitags: Da haben wir und die Parteifreunde in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern den Auftrag bekommen, möglichst viele Regierungsbeteiligungen in den Ländern anzustreben, um 2017 den Politikwechsel auf Bundesebene vorzubereiten.

Eine Blaupause für R2G in Berlin wird Ramelows Bericht dennoch nicht sein, weil die Linkspartei hier nur halb so stark wie die SPD und nicht wie in Thüringen die dominierende Kraft ist. Da sind Sie auf die Juniorrolle festgelegt.

„Juniorrolle“ klingt immer so merkwürdig: Der kleinere Ko­alitionspartner ist nicht automatisch der Junior. Entscheidend ist, was man inhaltlich einzubringen hat. Da nenne ich bei uns nur mal die Arbeitsmarktpolitik und wie man die Inte­gra­tion von Flüchtlingen durch systematisches politisches Handeln auf Landes- und Bezirksebene richtig voranbringt.

Udo Wolf

Geboren 1962 in Frankfurt am Main, war bis 1990 sechs Jahre Mitglied der Alternativen Liste und gehört seit 1993 der PDS und der heutigen Linkspartei an. Seit 2001 ist Wolf Mitglied des Abgeordnetenhauses, seit 2009 dort Chef der Linksfraktion.

Systematisches politisches Handeln“ – das klingt aber noch nicht wirklich konkret.

Wir werden bei der Klausur über unser Investitionsprogramm für Berlin sprechen und wie daraus ein Arbeitsmarktprogramm nicht nur für Langzeitarbeitslose, sondern auch für Flüchtlinge werden kann. Das ist uns nämlich besonders wichtig: dass bei den Entscheidungen, die in unserer Stadt anstehen, diese Gruppen nicht gegeneinander ausgespielt werden, genauso wenig wie Wohnungslose und Flüchtlinge.

Das ist genauso bei SPD, Grünen und auch bei der CDU zu hören.

Ja, aber das muss man nicht nur sagen, sondern auch mit einem Konzept unterlegen. Dass jetzt ein Integrationskonzept für die Stadt an die Unternehmensberater von McKinsey vergeben wird und die zuständige Senatsverwaltung von Dilek Kolat das nicht selbst macht, das ist schon ein besonderes Zeichen. Ich erinnere nur daran, dass wir zu Zeiten von Rot-Rot aus der Integrationsverwaltung heraus zwei umfassende Inte­gra­tionsprogramme und das Inte­gra­tions- und Partizipationsgesetz geschrieben haben – und das umfasste einen Personenkreis von etwa 400.000 Menschen in der Stadt. Jetzt geht es um gerade mal 80.000 Flüchtlinge, und diese Aufgabe muss der Senat auslagern.

Weil er es nicht kann?

Offensichtlich.

Wenn es nach der Wahl wider Erwarten doch für eine Zweierkonstellation reicht: Sehen Sie sich da gerade in einer Dauerkonkurrenz mit den Grünen als – wieder der von Ihnen ungeliebte Begriff: – Juniorpartner der SPD?

Ich denke, dass für Michael Müller eines sicher ist: Er will nicht mehr mit der CDU. Da hat er sich relativ weit aus dem Fenster gelegt. Wir haben den Anspruch, in eine Regierung einzutreten, um es besser zu machen als das, was unter Rot-Schwarz jetzt passiert.

Die Frage ist nur: Wenn Sie meinen, Sie könnten es besser – dürfen Sie dann riskieren, die SPD durch zu harte Kritik zu verprellen und sich damit das Mitregieren zu verscherzen? Denn Sie werfen Müllers Senat doch Unfähigkeit und Nichtstun vor.

„Wir haben den Anspruch, in eine Regierung einzutreten, um es besser zu machen“

Michael Müller hat in Sachen Kritik die Messlatte ja selbst ziemlich hoch gelegt mit seiner Regierungserklärung im November vergangenen Jahres. Dafür haben wir ihm gedankt, denn schärfer hätten wir die CDU gar nicht kritisieren können …

… aber Sie kritisieren ja auch den SPD-Teil des Senats und damit Müller.

Er hat nun mal die Gesamtverantwortung. Und er hat eine politische Abwägung getroffen, diesem bitteren Treiben mit der CDU nicht vorzeitig ein Ende zu setzen, sondern das bis zum Wahltag am 18. September durchzustehen. Ich glaube aber, dass sich Michael Müller daran erinnert, dass man mit uns vernünftige, tragfähige Kompromisse erarbeiten kann. Und das ist ein wichtiges Kriterium für eine Koalitionsbildung – viel wichtiger, als ob man sich mal schlecht behandelt fühlt.

Blicken wir mal auf Ihre ­Konkurrenz. Die Grünen fahren ­einen Kurs, der weniger scharf wirkt. Fraktionschefin Ramona Pop betont immer wieder, wie konstruktiv man sei, dass es mit Opposition um jeden Preis nicht getan ist. Ist das aus Ihrer Sicht falsch?

Unser Weg der scharfen Kritik ist immer auch verbunden mit einer konstruktiven Haltung. Wir kritisieren das Problem mit den Bürgerämtern und sind die Fraktion, die klare Vorstellungen hat, wie es zu lösen ist. Dafür haben wir ein Personalentwicklungskonzept vorgelegt. Wir kritisieren die Missstände am Lageso und haben schon vor einem Jahr ein flüchtlingspolitisches Konzept präsentiert. Bei den Grünen und bei Ramona Pop wirkt wohl eher das politische Trauma der gescheiterten Koalitionsverhandlungen von 2011 nach. Den Sozialdemokraten damals mit nur einem Thema die Pistole auf die Brust zu setzen …

… beim Weiterbau der A100!

Das war die falsche Strategie. Daraus aber abzuleiten, dass man nun in jeder politischen Frage den Kompromiss schon vorwegnehmen muss, ehe man die eigene Position formuliert hat, das halte ich nicht für schlau. Aber das müssen die Grünen selber wissen.

Werden Sie mit einer Koalitionsaussage in den Wahlkampf gehen, vielleicht schon im Wahlprogramm?

Durch den Aufschwung der AfD, die in der jüngsten Umfrage zur Abgeordnetenhauswahl am 18. September auf 7 Prozent kam, ist es fraglich geworden, ob eine rot-rote oder rot-grüne Koalition allein eine Mehrheit der Parlamentssitze erzielt. Das gilt erst recht, falls auch die derzeit noch unter der 5-Prozent-Hürde liegende FDP ins Parlament einzieht.

Derzeit würde es für Rot-Grün noch für eine Mehrheit der Sitze reichen, nicht aber für Rot-Rot, die eigentlich von einer Mehrheit der SPD-Abgeordneten favorisierte Koalition. Eine sichere Mehrheit hätte derzeit nur die aktuelle Variante Rot-Schwarz – und das bisher nur in Thüringen praktizierte rot-rot-grüne Dreierbündnis mit dem Kürzel R2G. (sta)

Ich habe ja schon gesagt, dass uns der Bielefelder Bundesparteitagsbeschluss nahelegt zu regieren. Wir werden im Wahl­programm natürlich keine Koali­tionsaussage formulieren. Aber unser Programm wird klar mit dem Anspruch verbunden sein, dass wir das auch in Regierungsverantwortung umsetzen. Unsere Hauptaufgabe ist, die CDU aus der Regierung rauszuhalten.

Wo würden Sie sich denn selbst bei R2G oder Rot-Rot sehen – weiter an der Fraktionsspitze oder im Senat?

Wenn ich mir das aussuchen darf, kann ich bislang nur sagen, dass Fraktionsvorsitzender ein super Job ist.

Jetzt fehlt bloß: das schönste Amt nach Papst, wie Müntefering mal über den SPD-Vorsitz meinte.

Nee, das vermag ich nicht zu beurteilen. Aber ich glaube, der Papst hat gar nicht so ein freudvolles Leben.