Londons Bürgermeister ist für den Brexit

Großbritannien Schlappe für Cameron. Mit Boris Johnson gewinnen seine Gegner eine Galionsfigur

Boris Johnson vor seinem Haus in Islington Foto: Peter Nicholls/reuters

DUBLIN taz | Die britischen Tories stehen vor der größten Zerreißprobe ihrer Geschichte. 120 ihrer Abgeordneten wollen beim Referendum am 23. Juni für den Verbleib in der EU stimmen, genauso viele werden dagegen stimmen. Das Lager der EU-Gegner bekam am Sonntag Auftrieb, als sich Boris Johnson für den Austritt aussprach. Er werde sich für „Vote Leave“ einsetzen, sagte er, „oder wie auch immer das Team heißt, ich glaube, es gibt eine Menge dieser Gruppen.“

Premier David Cameron appellierte vergeblich an Johnson, sich nicht mit Leuten wie Ukip-Chef Nigel Farage oder dem linken Wirrkopf George Galloway gemein zu machen. Er wolle für Großbritannien das beste von beidem, sagte Cameron: „Alle Vorteile für Jobs und Investment durch Mitgliedschaft in der EU, ohne die Nachteile des Euro und der offenen Grenzen.“

Johnson widersprach ihm, weil es sich nicht um „eine grundlegende Reform der EU oder Großbritanniens Beziehungen zur EU“ handle. Er wolle sich keinesfalls gegen Cameron stellen, sagte er, aber „nach einer Menge seelischer Qualen“ glaube er, dass er nichts anderes tun könne.

„Ich bin Europäer, ich habe viele Jahre in Brüssel gelebt“, schrieb er am Montag in seiner Kolumne im Daily Telegraph. „Ich lehne es aber ab, dass wir Europa – die Heimat der bedeutendsten Kultur in der Welt, zu der Großbritannien beigetragen hat und es weiterhin tun wird – mit dem politischen Projekt der Europäischen Union verwechseln.“

Cameron antwortete darauf: „Sollte Großbritannien die EU verlassen, hättest du vielleicht das Gefühl der Souveränität. Aber hättest du die Macht, den Unternehmen zu helfen und sicherzustellen, dass sie in Europa nicht diskriminiert würden? Nein, hättest du nicht. Hättest du die Macht, darauf zu bestehen, dass die europäischen Länder ihre Informationen über Terroristen und Kriminelle mit uns teilen? Nein, hättest du nicht.“

Boris Johnson traf seine Entscheidung "nach einer Menge seelischer Qualen"

Johnsons Entscheidung ist ein schwerer Schlag für Cameron. Der Londoner Bürgermeister ist der Medienstar, den sich die EU-Gegner gewünscht haben, auch wenn er betont, dass er keine führende Rolle spielen und nicht an „massenhaften verdammten Fernsehdebatten gegen Mitglieder meiner Partei“ teilnehmen wolle. Eine Untersuchung hat ergeben, dass die Chancen für einen Verbleib in der EU um 15 Prozent gestiegen wären, hätten sich Cameron und Johnson gemeinsam dafür eingesetzt.

Johnson hat alle Entscheidungen stets unter dem Aspekt getroffen, ob sie für seine größte Ambition hilfreich sind: Premierminister zu werden. So kalkuliert er, dass der nächste Tory-Parteichef aus dem Lager der EU-Gegner kommt. Selbst wenn man beim Volksentscheid unterliegt, glaubt Johnson, kann man politisch überleben, da die Mehrheit der Parteimitglieder EU-skeptisch ist. Setze man sich dagegen für den Verbleib in der EU ein und unterliege, sei man politisch erledigt. Ralf Sotscheck