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„Wie uns der Alltag hier verändert“

Videoblogger Zwei junge Syrer gründen kurz nach ihrer Ankunft in Deutschland ein Videoblog auf Facebook, um syrischen Flüchtlingen die erste Zeit in der Fremde zu erleichtern. Ein Jahr später haben sie über 40.000 Fans. In Berlin drehen sie ihre Videos

Interview Hannah Wagner

Zum Interview sind wir in Allaa Fahams Hamburger Wohnung verabredet, wo er seit Kurzem lebt. Er öffnet die Tür in einem Kapuzenpulli mit dem Aufdruck „I love Syria“. An der Wand hängt ein Bild des Pariser Eiffelturms, die Fußböden sind mit großen bunten Teppichen ausgelegt. Regelmäßig treffen er und Abdulrahman Abbasi sich in Berlin, um dort Videos zu drehen. Berlin sei einfach seine Lieblingsstadt in Deutschland, sagt Abbasi, der dort selbst mehrere Monate gelebt hat, mittlerweile aber zum Studium nach Göttingen gezogen ist. Die vielen kleinen Geschäfte, das bunte Leben in den Straßen, all das gefalle ihm sehr. So schön es in Göttingen auch sei: „Ich bin Berliner“, sagt Abbasi und lacht.

taz: Herr Abbasi, Herr Faham, Ihre Facebook-Seite heißt „German LifeStyle“. Wodurch zeichnet sich denn der deutsche Lebensstil aus?

Abdulrahman Abbasi: Die Deutschen sind oft sehr ehrlich und direkt. Wenn ich mich mit meinen deutschen Kommilitonen zum Kochen treffe, wird am Ende manchmal der Einkaufszettel auf den Tisch gelegt und ausgerechnet, wie viel jeder zahlen muss. In Syrien wäre das unvorstellbar: Der Gastgeber würde niemals verraten, wie viel er ausgegeben hat, und erst recht kein Geld von seinen Gästen einsammeln. Das ist aber natürlich nur eine von vielen Facetten. Den deutschen Lifestyle vollständig zu beschreiben, ist wohl unmöglich und auch gar nicht das Ziel unserer Videos.

Sondern?

Abbasi: Wir wollen zeigen, wie es sich als Syrer in Deutschland lebt. Genau genommen beschäftigen wir uns also mit dem syrischen German Lifestyle. Wir wollen in unseren Videos festhalten, wie die deutsche Gesellschaft uns beeinflusst und wie wir uns durch sie verändern. In vielen Beiträgen vergleichen wir den deutschen und den syrischen Alltag miteinander, um so prägnante Unterschiede herauszuarbeiten.

Allaa Faham: Wir wollen mit unseren Videos dazu beitragen, dass sich die Lücke zwischen der deutschen Gesellschaft und den syrischen Flüchtlingen schließt.

In einem Video laufen Sie zusammen durch die Berliner Innenstadt und lassen sich von Passanten deren Lieblingswörter aufs T-Shirt schreiben. In einem anderen Beitrag kritisieren Sie, Herr Faham, eine Karikatur des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo. Ist „German LifeStyle“ ein Unterhaltungskanal oder politisches Blog?

Allaa Faham

19, floh 2012 mit seiner Familie nach Saudi-Arabien. Vor einem Jahr erhielt er ein Visum für Deutschland. Nach mehreren Monaten Aufenthalt in Berlin zog er vor Kurzem nach Hamburg und besucht dort zurzeit ein Studienkolleg.

Faham: Weder noch. Wir wollen keine Politik machen, aber gleichzeitig sollen unsere Videos mehr sein als reine Unterhaltung. Wir versuchen, Spaß und Nützliches miteinander zu verbinden. In unseren letzten Deutschlernvideos haben wir zum Beispiel ein paar Witze eingebaut, damit die Leute es gerne anschauen.

Abbasi: Das Ziel unserer Facebook-Seite ist es, die syrischen Flüchtlinge in ihrer ersten Zeit in Deutschland zu unterstützen. Und dazu gehört eben auch, diesen Menschen, die nach der anstrengenden Flucht oft innerlich kaputt hier ankommen, ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Viele hatten zu hohe Erwartungen an das Leben in Deutschland und sind nach ihrer Ankunft enttäuscht und verunsichert. Uns erreichen täglich viele Mails mit Fragen.

Was sind das für Fragen?

Abbasi: Alles Mögliche. Im Ernst, Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele Nachrichten wir bekommen. Viele Fragen drehen sich rund um das Thema Familiennachzug. Hin und wieder gibt es auch traurige Anlässe. Vor Kurzem hat uns beispielsweise eine Frau geschrieben, die von ihrem Mann geschlagen wird und die wissen wollte, ob das in Deutschland tatsächlich strafbar ist. Es gibt aber auch echt witzige Mails. Ein junger Mann etwa wollte mal Tipps von uns, wie er am besten eine deutsche Frau kennenlernen kann. (lacht)

Und Sie schreiben allen zurück?

Abbasi: Wir versuchen es, aber oft schaffen wir es nicht. In der Regel sitzen wir fünf oder sechs Stunden pro Tag am Computer und manchmal ist die Liste der Nachrichten danach immer noch wahnsinnig lang. Wir wollen deshalb demnächst einen Livestream einrichten und die Fragen direkt vor laufender Kamera beantworten. Das spart viel Zeit.

Ihr Blog ist also gewissermaßen auch Beratungsstelle für Flüchtlinge in ganz Deutschland. Wie erklären Sie sich das große Vertrauen, das die Leute Ihnen entgegenbringen?

Abbasi: Das sind unsere Landsleute, wir sprechen dieselbe Sprache, da ist natürlich gleich eine Verbundenheit da. Darüber hinaus sind Allaa und ich nun schon eine Weile in Deutschland und haben schon einiges erreicht. Wir sind also auch in gewisser Weise Vorbilder für viele, die neu ankommen. Auch wenn wir beide mit gültigem Visum hierher gekommen sind, also offiziell keine Flüchtlinge sind, können wir uns gut in die Lage der Menschen versetzen. Schließlich gibt es in unserem persönlichen Umfeld so viele Leute, die übers Meer fliehen musste – meine Eltern zum Beispiel. Ich selbst bezeichne mich als Flüchtling, schließlich verbindet mich mit den Menschen in den Asylbewerberheimen eine entscheidende Sache: Wir alle haben unsere Heimat verloren.

Haben Sie eigentlich auch deutsche Follower?

Faham: Ja, jede Menge sogar. Vor allem, seit wir verstärkt Videos auf Deutsch drehen. Dabei war der Sprachwechsel ursprünglich als Motivation für unsere syrischen Zuschauer gedacht. Wir wollten ihnen zeigen: Schaut mal, wenn Abdul und ich im Alltag Deutsch sprechen können, könnt ihr das auch! Dass wir so nun auch viele Deutsche erreichen, freut uns natürlich. Wenn sowohl Syrer als auch Deutsche Kommentare unter unsere Videos schreiben, ist das ja auch eine Form der Kontaktaufnahme.

Abbasi: Genau. Und wir versuchen jetzt auch, verstärkt Videos für unsere deutsche Zielgruppe anzubieten.

Welche zum Beispiel?

Abdulrahman Abbasi

21, kam vor zwei Jahren nach Deutschland, seine erste Station war Berlin. Mittlerweile lebt er in Göttingen und studiert dort im dritten Semester Zahnmedizin.

Abbasi: Wir haben etwa im Sommer ein Video gedreht, in dem Allaa wartende Menschen vor dem Lageso interviewt hat. Die meisten haben erzählt, dass sie so schnell wie möglich arbeiten oder ein Studium beginnen wollen. Es ist uns wichtig, dass unsere deutschen Zuschauer verstehen, dass die Syrer Menschen sind wie sie, mit denselben Zielen und Träumen. Damit Integration gelingen kann, sind schließlich beide Seiten gefragt. Natürlich müssen sich die Syrer bemühen und beispielsweise Deutsch lernen. Aber auch die Deutschen müssen auf die Syrer zugehen und viele müssen da noch Vorurteile abbauen. Das Lageso-Video kam übrigens sehr gut an.

Bekommen Sie auch Hasskommentare?

Abbasi: Oh ja. (lacht) Ich kann mich gar nicht mehr an alle erinnern, so viele sind das. Interessanterweise sind aber recht wenige rassistische Kommentare dabei, die meisten negativen Reaktionen kommen von Syrern, die finden, dass wir den Islam in den Dreck ziehen. Einmal haben wir zum Beispiel ein YouTube-Video parodiert, in dem eine französische Muslima erzählt, wie sie zum Islam konvertiert ist. Wir haben das gar nicht böse gemeint, wir wollten uns nur ein bisschen über die theatralische Aufmachung des Videos lustig machen. Das kam bei einigen Leuten gar nicht gut an.

Faham: Manche werfen uns vor, unsere Heimat zu ­verraten, weil wir jetzt viele Videos auf Deutsch drehen. Immer wieder lesen wir Kommentare wie: „Seid ihr jetzt Deutsche oder was?“ Wir ignorieren so was oder antworten mit einem Lach-Smiley.

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