LeserInnenbriefe
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Leere Waagschale

betr.: „Kann dieser Mann die Welt retten?“, taz vom 10. 2. 16

Das einzig Positive, das ich zu dem „Nein“-Beitrag sagen kann, ist, dass dieser bei der taz auf Seite 1 mit dem Klarnamen („Feddersen“) unterzeichnet wurde. Inhaltlich und in der Form findet man solche Ausführungen sonst eher anonym in den Troll-Ecken der Internetforen. Diffamierung und persönliche Befindlichkeit ersetzen jede inhaltliche Auseinandersetzung mit der Idee einer solchen Bewegung wie „DiEM25“ – dem Manifest für die Demokratisierung Europas.

Genau diese Auseinandersetzung erwarte ich aber bei einem Titelthema der taz, und zwar abgesehen von der bloßen Personalie Varoufakis. Auch wenn das Format mit einem „ja“- und einem „nein“-Text auf Kontrast angelegt ist, ist es schade, dass hier eine der zwei Waagschalen ganz leer geblieben ist.

URSULA HESSE VON DEN STEINEN, Berlin

Fehlende Sachargumente

betr.: „Kann dieser Mann die Welt retten?“, taz vom 10. 2. 16

Seinen Nein-Beitrag hätte Herr Feddersen besser nach einer Weile in Ruhe durchlesen sollen, dann wäre er vielleicht sachlicher geworden. Das Griechen- und Varoufakis-Bashing zeugt eher vom Fehlen der Sachargumente, die es durchaus gibt.

Die gestellte Frage kann eigentlich nur mit Jein beantwortet werden. Denn Varoufakis kann in der Tat Europa nicht retten – es sind WIR alle, die nun aufstehen und die Arbeit machen müssen. Er hat die Vision geliefert, die die Richtung gibt. Was in zehn Jahren ist, wird zeigen, ob es uns gelungen ist auf den Weg zu machen. ULLA PUTZE-BREIDENSTEIN, Berlin

Nur ein Teil der Wahrheit

betr.: „Kann dieser Mann Europa retten?“, taz vom 10. 2. 16

Mit an 100 Prozent grenzender Wahrscheinlichkeit nicht, weil die, zu deren Gunsten seit Sieg der neoliberalen Wirtschaftsordnung umverteilt wird, es verhindern werden. In deren Interesse werden Parteien, Verbände und Medien aktiv. Verblüffenderweise tut sich hier ausgerechnet in der taz, einem Medium, das ausnahmsweise nicht Eigentum des Großkapitals ist, Herr Feddersen hervor. Seine Grundthese, dass der Wohlstand eines Landes vom Niveau der Produktivkräfte abhängt, ist nur ein Teil der Wahrheit. Es wird unterschlagen, dass zur Erzielung von Wohlstand nach der Erarbeitung der Werte eine gerechte Verteilung erforderlich ist. Nach den USA steht hier die Bundesrepublik an zweiter Stelle im Wettbewerb der Umverteilung von unten nach oben und macht auch mit Beteiligung der SPD keine Anstalten, das zu ändern.

Eine Forderung zur weiteren Subventionierung Griechenlands seitens Varoufakis’ist eine Unterstellung. Vielmehr schlug er vor, die Rückzahlung der Schulden, die konservative und angeblich linke Regierungen verursacht haben, an den Primärüberschuss des Haushalts zu koppeln. Eine Verfahrensweise, die der Ukraine als Nicht-EU-Mitglied und außerhalb des Euro-Raumes ohne lange Verhandlungen offeriert wurde.

Formulierungen wie „in die Agora geplärrt“, „Caffè-Latte-Halb-Bolschewismus“, „Sektenhuberei“ etc. deuten darauf hin, dass sich der Text von der Wahrheit-Seite aufs Titelblatt verirrt hat. Ein dickes Brett wurde vom taz-Redakteur nicht gebohrt.

ERICH ROTH, Grimma

Pragmatische Utopie

betr.: „Kann dieser Mann Europa retten?“, taz vom 10. 2. 16

Man mag die Erfolgsaussichten dieses Aufbruchs zur Erneuerung Europas skeptisch beurteilen angesichts der Konzentration von Macht, Medien und Geld in der EU. Auch Blockupy und der Arabische Frühling waren Bewegungen, die letztlich die Hoffnungen des Aufbruchs nicht einzulösen vermochten. Dass wir Europa neu denken müssen, ist unter kritischen und politisch denkenden Zeitgenossen fast eine Binsenwahrheit. Jeder Versuch, das konkret anzugehen, sollte zunächst Anerkennung finden, zumindest konstruktive Kritik, statt Häme und Diffamierung.

Wer das DiEM-Manifest gelesen hat, kann nicht umhin, mit dessen Zielen übereinzustimmen. Es ist eine konkrete oder pragmatische Utopie, eine Vision von Europa, die Europa dringend braucht, wenn es nicht weiter zu einem undemokratischen technokratisch-autoritären Projekt der Eliten verkommen und/oder zu einem neuen Nationalismus und Rechtsradikalismus führen soll.

Was treibt eigentlich Jan Feddersen dazu, Varoufakis als Person und das Projekt DiEM mit so triefender, abstoßender Häme zu überziehen?

Tut mir leid, solche Polemik, zumal ohne Diskussion in der Sache, möchte ich in „meiner“ taz nicht lesen.

Wie schrieb Bettina Gaus in ihrem Kommentar „Abstand von den bösen Clowns“ (6/7. 2.): „Demokratie bedeutet: Alle dürfen ihre Meinung sagen. Demokratie bedeutet nicht, man muss jede Meinung ernst nehmen., jedem Unfug zuhören […] Lasst uns endlich ernsthaft über Fragen reden, die einer Erörterung wert sind.“ DiEM25 wäre es wert gewesen. Feddersens Beitrag gehört leider nicht dazu. DIETER LEHMKUHL, Berlin