Sächische Polizei macht Opfer zu Tätern

Sachsen Polizei zwingt Jungen aus einem vom Mob gestoppten Bus und will nun gegen Flüchtlinge ermitteln

„Provozierend gestikuliert“: Polizeipräsident Reißmann rechtfertigt das Vorgehen gegen einen Flüchtling in Clausnitz Foto: Rico Löb/dpa

von Konrad Litschko

BERLIN taz | Am Samstagabend ist die Polizei wieder in Clausnitz gefordert. Wieder stehen hundert Demonstranten in dem kleinen sächsischen Ort nahe der tschechischen Grenze, um die dortigen Flüchtlinge zu begrüßen – diesmal indes freundlich. „Stop Racism“, steht auf ihrem Banner, und sie haben Kuchen mitgebracht. „Keinerlei Vorkommnisse“, meldet die Polizei im Anschluss. Diesmal hat sie alles im Griff.

Noch zwei Tage zuvor war ­alles anders. 25 Asylbewerber kamen da mit einem Bus nach Clausnitz, um die neue Unterkunft im Ort zu beziehen. Die Zufahrt aber blockierten ein Traktor, Kleinlaster und Autos. Rund 100 Pöbler umringten den Bus, johlten „Wir sind das Volk“. Erst nach zwei Stunden schaffen es die Beamten, die Flüchtlinge in das Heim zu bringen. Videoaufnahmen dokumentieren, wie dabei ein Polizist einen verängstigten Jungen im Nacken packt und aus dem Bus zerrt.

Am Samstagnachmittag dann lud Chemnitz’ Polizeipräsident Uwe Reißmann zur Pressekonferenz – und machte die Lage nicht besser. „An diesem Einsatz gibt es nichts zu rütteln“, sagte er. Um die Flüchtlinge zu schützen und sie in die Unterkunft zu bringen, sei bei drei Personen „einfacher un­mittelbarer Zwang notwendig“ gewesen. Den Flüchtlingen gab er eine Mitschuld. Der Junge etwa habe mit dem Zeigen des Mittelfingers aus dem Bus „provozierend gestikuliert“. Deshalb werde man auch gegen „den einen oder anderen Insassen des Busses“ ermitteln.

Wieder ein rassistischer Vorfall in Sachsen, wieder wird es ein bundesweites Politikum. Diesmal aber steht neben den rechten Krakeelern vor allem die Polizei im Fokus. Von einem „Polizeiversagen“, sprach SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann am Sonntag. Die Videoaufnahmen seien „höchst irritierend“. Linken-Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn kommentierte Reißmanns Auftritt gar: „Solche Polizeipräsidenten sind untragbar und eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit.“

Die Chemnitzer Polizei äußerte sich am Sonntag nicht mehr zu den Vorfällen. Die Ermittlungen liefen, hieß es lediglich. Dabei war für die Beamten absehbar, dass es Probleme in Clausnitz geben könnte. Bereits im Januar hatten Anwohner auf einer Informationsversammlung ihren Unmut über die neue Unterkunft freien Lauf gelassen. Im Ort tauchte ein Banner mit der Aufschrift „Widerstand“ auf. Der Heimbetreiber ist zudem ein AfD-Mann, der bereits auf einer Kundgebung offen gegen die Flüchtlingspolitik wetterte. Und Blockaden vor Asylunterkünften gab es in Sachen bereits in Freital, Einsiedel oder Heidenau.

Polizeipräsident Reißmann sagte indes, in Clausnitz seien geplante Protestaktionen im Vorfeld nicht bekannt gewesen. Den Flüchtlingsbus begleitete deshalb anfangs nur ein Streifenwagen. Trotz des „hochemotionalen Einsatzes“ habe es am Ende keine Verletzten oder Sachschäden gegeben. Die Kritik, so Reißmann, „weise ich entschieden zurück“.

Selbst Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU), der sich zuletzt verhalten zu Anti-Asyl-Protesten geäußert hatte, ging auf Distanz. Der Einsatz werde „umgehend ausgewertet“. Aber: „Die Bilder sprechen ihre Sprache.“ Auch Sachsens SPD-Chef Martin Dulig, Koalitionspartner der CDU, sprach von „unfassbaren“ Videos, die „Übergriffe der Polizei auf verängstigte Flüchtlinge“ dokumentierten. „Ich erwarte von den Polizeivorgesetzten schnelle Aufklärung und für die betroffenen Beamten die entsprechenden Konsequenzen.“

Schwelle von Anstand und Rechts deutlich überschritten

Thomas de Maizière (CDU)

Die Opposition benannte bereits Verantwortliche. Für Grünen-Landeschef Jürgen Kasek ist es Reißmann. „Ein Polizeipräsident, der rassistische Gefahren ignoriert und Opfer zu Tätern macht, ist Teil des Problems.“ Die Linke nahm auch Innenminister Ulbig ins Visier. „Langsam beginne ich, an eine selbstverordnete, rechtsäugige Blindheit von Teilen der sächsischen Polizei und vor allem ihres Dienstherrn zu glauben“, sagte Landes­chef Rico Gebhardt.

Die Gewerkschaft der Polizei hielt dagegen. „Der brüllende Mob ist der Verursacher des Problems“, sagte ihr Bundeschef Jörg Radek. „Es kann nicht an­gehen, dass von der Politik ein Urteil gefällt wird, bevor die vollständige Lage bekannt ist.“

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) sagte, die Strafbehörden würden „jeden Verantwortlichen zu Rechenschaft ziehen“. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sprach von einer „Schwelle des Anstands und Rechts“, die in Clausnitz „deutlich überschritten wurde“.

Die Rolle der Polizei wollen die Grünen am Mittwoch im Deutschen Bundestag debattieren. Die sächsische Linke forderte eine Sondersitzung des Landesinnenausschusses.