Hermaphrodit BSC

FuSSball Und weiter geht „diese Unentschieden-Geschichte“: Der Hauptstadtklub kann sich noch nicht zwischen Spitzenmannschaft und Mittelmaß entscheiden. Die Gäste aus Wolfsburg waren da auch keine Hilfe

Man zieht sich Foto: dpa

Aus Berlin Johannes Kopp

Manchmal ist es mit den Fußballspielen wie mit Gedichten. Man kann allerlei in sie hineininterpretieren. Gerade Partien ohne Sieger eignen sich vortrefflich dafür – wie das 1:1 zwischen Hertha BSC Berlin und dem VfL Wolfsburg. Siege werden in derlei Begegnungen nicht errungen, sie werden gefühlt. Eigentlich hat Hertha-Trainer Pal Dardai die Nase voll von solchen Ergebnissen: „Wir wollten unbedingt gewinnen und diese Unentschieden-Geschichte nicht lange mitschleppen.“

Eine Niederlage und vier Remis stehen bei Hertha in der Rückrunde zu Buche. Just in der Phase, da alle bemüht sind, dem Erfolg des Überraschungsdritten der Vorrunde näherzukommen, entzieht sich das Team jeder Bestimmung. Ist Hertha jetzt ein Spitzenteam oder ein vielgesichtiges, aber letztlich mittelprächtiges Ensemble?

Nur diejenigen, deren Beruf es ist, die Leistung der eigenen Angestellten ins Positive zu wenden, tun sich mit Festlegungen nicht schwer. Hertha-Manager Michael Preetz etwa bilanzierte: „Die Mannschaft hat an Reife gewonnen.“ Einmal mehr habe man gesehen, dass es dem Team möglich sei, eine Topmannschaft zu schlagen. Das Spiel werde allen Selbstvertrauen geben. Was Preetz jedoch unterschlug: In der entscheidenden Schlussphase, als beide Teams ihre taktischen Vorgaben lockerten, verloren die Berliner komplett die Übersicht. Die Gäste kamen zu den Großchancen, von denen sie zuvor nur träumen konnten. Marcel Schäfer und Vieirinha scheiterten am einzigen noch wachsamen Herthaner, Torhüter Rune Jarstein; der nach einer Ecke freistehende Luiz Gustavo (86.) am Innenpfosten.

Einerseits hat der von Preetz attestierte Reifeprozess in den letzten Wochen wenig Fruchtbares hervorgebracht. Nur zwei Teams haben in der Rückrunde – Stand Samstagabend – weniger gepunktet als Hertha. Andererseits beeindruckte, dass Hertha lange Zeit fast fehlerfrei und mit erkennbarem Plan agierte. Der war zwar wie so oft aus einem Sicherheitsbedürfnis heraus geboren. Lange ließ Hertha den Ball derart ausdauernd in den hinteren Reihen zirkulieren, dass Innenverteidiger John Anthony Brooks die meisten Ballkontakte für sich verbuchen konnte. Aber wenn Hertha nach vorne spielte, sah das meist durchdachter und gefährlicher aus als beim Champions League-Teilnehmer Wolfsburg.

Im Stile einer Spitzenmannschaft reagierte die Hertha allerdings auf den überraschenden Rückstand, als Wolfsburgs Schäfer mit dem ersten Schuss aufs Tor (53.) die Führung erzielte. Nur sieben Minuten dauerte es, bis der auffällige Salomon Kalou den Gleichstand wieder herstellte. Und dass Dardai unmittelbar danach den offensivstärkeren Alexander Baumjohann für Vladimir Darida aufs Feld schickte, unterstrich das neue Selbstverständnis.

Wobei auch hier eine gewisse Ambivalenz vorherrscht: Dardai sprach nach dem Spiel von der „Überraschung“, die gegen eine „Topmannschaft“ wie Wolfsburg möglich gewesen wäre. Angesichts der Verletztenmisere der Niedersachsen, die neben der internationalen Belastung Mitte der Woche acht Ausfälle kompensieren mussten, hörte sich das arg kleinlaut an. Dieses Dardai-Team ist wirklich schwer einzuordnen. Vorläufig könnte man sagen: Hertha ist ein Hermaphrodit. Ein Gewinner-Gen kann die Mannschaft noch nicht nachweisen, es deutet aber manches schon auf gehobene Klasse hin.

Ähnliches hat man in Berlin zuletzt vor knapp sieben Jahren gesehen, als man unter Lucien Favre die Saison auf dem vierten Platz beendete. Im Jahr darauf stiegen die Berliner ab.Pal Dardai hat das alles miterlebt.