Berlin, 16. Januar, ein Delegierter der AfD auf dem Landesparteitag, die Krawatte sitzt Fotos: Stefan Boness

Krawatte zurecht-gerückt

MachtwechselDer Rechtsruck in der Berliner AfD ist vollzogen. Seit dem Landesparteitag im Januar ist klar: Die bis dahin eher wirtschaftsliberale Ausrichtung der Landespartei gehört der Vergangenheit an. Den Vorstand übernimmt die Abtreibungsgegnerin Beatrix von Storch mit Ex-Offizier Georg Pazderski

Von Malene Gürgen
Fotos Stefan Boness

Berlin, der 7. November 2015. Ein grauer Tag, trotzdem sind 5.000 Menschen zusammengekommen – so viele, wie die AfD für die Demonstration zum Abschluss ihrer „Herbstoffensive“ angekündigt hatte. Die GegendemonstrantInnen haben kaum eine Chance, auf die Strecke zu kommen, die Demonstration verläuft ungestört, auch die eigenen Reihen blieben größtenteils friedlich. Der Tag ist ein Erfolg für die AfD.

Allerdings: Der Berliner Landesverband spielt dabei kaum eine Rolle. In der ersten Reihe, wo die Bundesvorsitzende Frauke Petry neben dem Vizechef Alexander Gauland und der EU-Abgeordneten Beatrix von Storch das Transparent mit der Aufschrift „Asyl braucht Grenzen“ trägt, sucht man den Berliner Landesvorsitzenden Günther Brinker vergeblich, auch sonst tritt er nicht in Erscheinung. An diesem Tag wird klar: Nachdem der national-konservative Flügel vor Monaten die Bundespartei übernommen hat, wird es eng für den wirtschaftsliberal ausgerichteten Berliner Landesvorstand.

Auf Linie gebracht

Heute ist dieser Machtkampf abgeschlossen, mit einem klaren Ergebnis: Die rechten Kräfte der Partei haben auch in Berlin übernommen. Auf dem Landesparteitag im Januar wird der bisherige Vorsitzende Brinker abgewählt, wenige Tage später tritt der ihm politisch nahestehende Parteisprecher Götz Frömming zurück. Stattdessen übernimmt die erzkonservative AfD-Prominenz Beatrix von Storch den Vorsitz. Sie soll die Landespartei zukünftig gemeinsam mit Georg Pazderski führen, einem ehemaligen Bundeswehroffizier, der bis zum Sommer Bundesgeschäftsführer der Partei und landespolitisch bisher nicht in Erscheinung getreten war. Neuer Sprecher wird Ronald Gläser, Autor der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit.

Die AfD der Hauptstadt:

Auf Bezirksebene sind Ex-CDU- und -FDP-Politiker aktiv, unauffällige Bürger sowie vereinzelt Überläufer von Piraten und Linken

„Der Landesverband hat einen deutlichen Schritt nach rechts gemacht und ist damit der Bundespartei gefolgt“, sagt Frank Metzger vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungsszentrum (apabiz), der die Partei schon lange beobachtet. Der nach eigenen Angaben rund 900 Mitglieder zählende Landesverband stand unter Handlungsdruck, so vermutet Metzger, gerade mit Blick auf die Abgeordnetenhauswahl im September und die bisher schwache Stellung der Partei in der Hauptstadt, die weder die Proteste gegen Flüchtlingsheime noch die Kritik am Lageso-Chaos bislang für sich nutzen konnte.

Hardliner übernehmen

Ein Machtwechsel – Parteiinsider sprechen von einem Putsch – hatte sich schon vor dem Parteitag abgezeichnet: In einer Sonderausgabe des Mitglieder-Magazins Polifakt wurde dem Landesverband parteiintern vorgeworfen, „durch Abtauchen möglichst wenig anzuecken“ und so Anschluss an den bundesweiten Aufwärtstrend der Partei zu verfehlen. Andreas Wild, der stellvertretende Vorsitzende des mitgliederstärksten Kreisverbands Steglitz-Zehlendorf – bekannt für seine Hardliner-Ausrichtung – verteilte das Magazin eigenhändig vor Versammlungen anderer Kreisverbände. Pazderski soll an der Redaktion beteiligt gewesen sein.

Nach Aussage eines Parteimitglieds ist Wild der Kopf der Gruppe „Klartext“, die es sich innerhalb der Berliner AfD zum Ziel gemacht habe, den vorherigen Vorstand zu stürzen. Monatelang habe die Gruppe auf diesen Machtwechsel hingearbeitet und sich dafür die Unterstützung des Bundesvorstands gesichert. Diese Strömung soll auch für die Wahlmanipula­tio­nen verantwortlich sein, die Wachleute auf dem Parteitag beobachtet haben: Anhänger des rechten Flügels sollen mehrfach abgestimmt haben.

Georg Pazderski: 41 Jahre Berufsoffizier, heute Co-Chef der Berliner AfD

Wild gilt als Fan des Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzenden und rechten Scharfmachers Björn Höcke, zu dessen Auftritten er regelmäßig Busse aus Berlin organisiert. In einer internen Mail, die der taz vorliegt, setzt sich Wild dafür ein, in Berlin „vor den Asylantenheimen mit der Deutschlandfahne und der AfD-Fahne zu demonstrieren“ und verlangt: „die AFD muss eine Bärgida-Partei werden, das ist das Wichtigste!“. Der Berliner Pegida-Ableger Bärgida ist ein Sammelbecken für Neonazis, rechte Hooligans und Neurechte wie der Identitären Bewegung. Zu diesen wiederum pflegt die AfD in Berlin nach Ansicht von Szenekennern über ihre Jugendorganisation, die Junge Alternative, enge Kontakte.

Diese Personalia sind wichtig, weil sich die Partei in Berlin bisher programmatisch kaum hervorgetan hat. Ein Berliner Landesprogramm soll erst auf dem nächsten Parteitag am 18. März erstellt werden. In den landespolitischen Debatten spielt die Partei bislang keine Rolle, bis zum letzten Parteitag war völlig unklar, wie sie sich in Berlin inhaltlich aufstellen will.

Das ist nun anders. Beatrix von Storch gilt nicht nur als medienerfahren und gut vernetzt, sondern steht auch für ultrakonservative Ansichten. Vor Kurzem sorgte sie für Empörung, als sie auf die Frage, ob die AfD auch auf Flüchtlinge schießen lassen würde, mit Ja antwortete. Storchs eigentliches Kernthema aber ist der angebliche Verfall der Gesellschaft durch „Genderwahn“ und „Sexualisierung“. Beim in Berlin stattfindenden Jahresereignis der sich selbst als „Lebensschützer“ bezeichnenden AbtreibungsgegnerInnen und christlichen FundamentalistInnen, dem sogenannten Marsch für das Leben, lief sie in den letzten beiden Jahren an vorderster Front.

Umfragewerte steigen

Der Machtwechsel an der Spitze gibt scheinbar eine klare Antwort darauf, wohin die AfD will. Doch die Informationen, die SzenekennerInnen zu den auf Bezirksebene aktiven Personen zusammengetragen haben, ergeben ein diffuseres Bild: Ehemalige CDU- und FDP-Politiker sind darunter, vereinzelt Ex-Mitglieder von Piraten und Linken. Menschen, die früher bei rechtspopulistischen Gruppen wie „Pro Deutschland“ aktiv waren, genauso wie politisch bisher völlig unbescholtene BürgerInnen. Wie viele Austritte es nach den Kurswechseln auf Bundes- und nun auf Landesebene in Berlin gab, ist nicht bekannt.

Doch der Einzug der Partei ins Abgeordnetenhaus ist längst nicht mehr unwahrscheinlich. Momentan liegt sie mit 7 Prozent klar über der erforderlichen Hürde. Gleichzeitig sind ­Zivilgesellschaft und linke Kräfte offenbar noch unsicher, wie sie mit der Partei umgehen sollen: Gegen die große AfD-Demonstration im Herbst ging außer der Antifa kaum jemand auf die Straße, Proteste gegen die Partei beschränken sich bisher auf gelegentliche Farbanschläge wie zuletzt auf das Büro von Beatrix von Storch am vergangenen Wochenende. Sich gegenüber der AfD zu positionieren, darum wird man aber auch in Berlin in diesem Jahr nicht kommen.