Erstaunlich piefig und reaktionär

Kommentar

von Anna Klöpper

Online-Petition gegen Stillverbot in Prenzlauer Berg

Was mussten die berühmten Latte-macchiato-Mütter vom Prenzlauer Berg nicht schon alles an Zuschreibungen erdulden: verstopfen mit ihren Luxuskarren für den Nachwuchs die Gehwege und stören mit ihren verzogenen Gören in den Cafés das Kaffeekränzchen der tatsächlich immer weniger gewordenen, tapfer verbliebenen Nicht-Eltern im Kiez. Außerdem trinken sie den ganzen Tag Kaffee mit Milchschaum, weil sie zu viel Zeit und zu viel Geld haben. Weshalb sie auch für die steigenden Mieten verantwortlich sind und für das Verschwinden der Clubs, wahrscheinlich auch für das schlechte Wetter von morgen. Und wenn sie nicht Kaffee mit Milchschaum trinken, machen sie Yoga, und dass sie bloß Bio kaufen, passt da ins Bild und ist auch nicht recht.

Zu Recht: Dass das Klischeebild der Prenzlauer Berger Mutter meistens der Wahrheit entspricht, kann schon nerven – und auch die Online-Petition der Mutter, die sich gegen das angebliche Verbot des Stillens ihres drei Monate alten Sohnes in einem Café an der Schönhauser Allee wehrt, passt natürlich wunderbar in dieses Bild: Hämische Kommentare à la „hysterische Latte-macchiato-Mutter mit zu viel Zeit“ waren der Frau sicher.

Geschenkt. Denn jenseits der schon zu oft geführten Mütter-vom-Prenzl’berg-Diskussion zeigt die Debatte um die Onlinepetition auch: Es ist doch erstaunlich, welche Reaktionen die nackte Brust einer stillenden Mutter immer noch auszulösen vermag. „Ehrlich gesagt möchte ich auch nicht die nackte Brust einer Frau sehen, wenn ich meinen Kaffee (möglicherweise mit Milch) trinke, schreibt ein männlicher Face­book-User auf der Seite der Kampagne. Und der Wirt des Cafés an der Schönhauser Allee verweist auf den Umstand, dass „Gäste aus anderen Kulturkreisen“ anwesend gewesen wären.

Fragt sich eigentlich nur noch, wer da den Prenzlauer Berg jetzt piefiger und reaktionärer macht: die wohlsituierten Mütter mit zu viel Zeit und Kaffeedurst – oder diejenigen, die eine stillende Frau unappetitlich finden.