Davidwache und die 40 Räuber

POLIZEI Die Ermittlungen nach dem vermeintlichen Angriff von Autonomen auf die Hamburger Davidwache sind eingestellt. Es konnte kein Täter ermittelt werden. Trotzdem bleibt der Mythos, dass es ihn gab

Sorgen für Ruhe vor dem vermeintlichen Sturm: Am 21. 12. 2013 schützen ein Räumpanzer und ein Wasserwerfer die Davidwache an der Hamburger Reeperbahn  Foto: Bodo Marks/dpa

von Kai von Appen

Der angebliche Angriff auf die Hamburger Davidwache bleibt rätselhaft. Keinen Beweis gibt es, dass 30 bis 40 vermummte Autonome am Abend des 27. Dezember 2013 gezielt und politisch motiviert mit Steinen und Flaschen tatsächlich auf das Polizeikommissariat in St. Pauli losgegangen sind. Die Staatsanwaltschaft hat inzwischen die Ermittlungen eingestellt. Dennoch: Polizei, Staatsanwaltschaft und das Gros der Innenpolitiker glauben weiter daran, dass der Angriff stattgefunden hat – schließlich war er Grundlage für die Polizei, am 4. Januar 2014 das größte Gefahrengebiet in der Geschichte Hamburgs auszurufen. Die westliche Innenstadt mit 80.000 Menschen wurde durch verdachtsunabhängige Personenkontrollen tagelang in den Ausnahmezustand versetzt.

„Dass die Davidwache angegriffen worden ist, steht für mich zweifelsfrei fest“, sagte der innenpolitische Sprecher der SPD, Arno Münster, am Dienstag im Innenausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft, als über das Thema diskutiert wurde. Münster raunte das in Richtung Christiane Schneider, Innenpolitikerin der Linkspartei, als diese den Angriff in Frage stellte. „Die Behörde müsste sich jetzt zu dem Vorgang äußern“, hatte Schneider gefordert. Auch der CDU-Angeordnete Dennis Gladiator attackierte Schneider: „Welche Personenkreise wollen Sie hier schützen, um die Polizei schlecht zu machen?“

Schneider stützt ihre Zweifel, die bereits kurz nach dem vermeintlichen Angriff laut geworden sind, auch auf eine aktuelle Kleine Anfrage, in der der Hamburger Senat zugeben musste, dass es „keinen zweifelsfrei ermittelten Sachstand“ dazu gebe, was an jenem Abend passiert ist.

Fest steht nur, dass einem Polizisten in 200 Metern Entfernung von der Wache im Rahmen eines Kneipen-Einsatzes zur besagten Zeit aus nächster Nähe ein Stein ins Gesicht geworfen wurde. Er erlitt Frakturen der Kieferhöhlenwand und des Nasenbeins. Deshalb wurde wegen versuchten Totschlags ermittelt. Zudem erklärten eine Polizistin durch Pfefferspray im Augenbereich und ein Polizist durch einen Stein im Bauchbereich auf der Reeperbahn verletzt worden zu sein.

Dabei hatte die Staatsanwaltschaft alle Register gezogen: 84 Zeugen seien vernommen worden, darunter 13 Polizisten sowie ein Paar aus Bremen, das sich an jenem Abend auf einem Kiez-Bummel befand und von Anfang an die Version des Angriffs stark relativierte. Dem Paar zufolge sei zwar eine Gruppe von 20 bis 25 Fans des FC St. Pauli lautstark an der Polizeiwache vorbeigezogen, doch keiner von ihnen sei vermummt oder schwarz gekleidet gewesen. Bis die Polizisten aus der Wache gestürmt seien, habe eine „gelöste Stimmung“ geherrscht. Und auch anschließend habe es keine Gewalt gegeben.

In die gleiche Kerbe stieß der Szene-Anwalt und St. Pauli-Fan Andreas Beuth gleich unmittelbar nach den Polizeimeldungen vom Angriff. Beuth vertritt einige Augenzeugen der Ereignisse und sagt: „Es hat zu keinem Zeitpunkt Stein- oder Flaschenwürfe auf die Revierwache gegeben, erst recht nicht auf aus der Wache herauskommende Polizeibeamte“.

Der vermeintliche Angriff von Autonomen auf die Davidwache war der Hauptgrund zur ­Ausrufung des Gefahrengebiets für St. Pauli und das Schanzenviertel.

Widerstand regte sich dagegen seit dem ersten Tag durch allabendliche spontane, unangemeldete Demonstrationen.

Zum Symbol, dass St. Pauli „widerspenstig“ ist, wurde die Klobürste, die als gefährlicher Gegenstand bei einer Kontrolle beschlagnahmt worden war.

Im Verlauf ihrer zweijährigen Ermittlungen habe die Polizei 14 Telefonanschlüsse und E-Mail-Accounts von sechs Personen zeitweilig überwacht, heißt es in der Senatsantwort. Eine Person sei zwei Wochen lang observiert und fünf Wohnungen durchsucht worden. Zudem habe eine weitreichende Funkzellen-Auswertung von Handy-Standorten stattgefunden und es seien zwei E-Mail-Accounts „beschlagnahmt“ worden.

„Auch wenn eine Zuordnung der Straftaten nicht möglich war, relativiert das nicht, dass sie stattgefunden haben“, sagte Staatsschutz-Oberstaatsanwalt Michael Elsner im Innenausschuss. „Dass es uns nicht gelungen ist, Täter zu ermitteln, heißt nicht, dass es uns nicht noch gelingen wird“. Elsner deutete damit an, dass die Ermittlungen jederzeit wieder aufgenommen werden könnten.

Ob es sich bei den vermeintlichen AngreiferInnen tatsächlich um Autonome gehandelt habe, konnte Elsner den Parlamentariern des Innenausschusses nicht bestätigen. „Ob es eine politische Motivation gab, kann man nicht sagen, wenn man die Täter nicht kennt“, antwortete Elsner, was den FDP-Innenpolitiker Carl-Edgar Jarchow zu der Bemerkung veranlasste: „Was wir damals so alles gehört haben, und was dabei rausgekommen ist, stimmt schon nachdenklich.“