Grönlandfahrer und Wal-Margarine

DEUTSCHLAND DEINE WALE Im Norden lebten ganze Dörfer von der Jagd auf die Riesen des Meeres. Später entwickelten deutsche Erfinder neue Verwertungs-Methoden und trugen so zur Dezimierung der Tiere bei

„Wir sahen viele Walfische, die zu den Löchern im Eis fuhren, um zu blasen“, schreibt der Kapitän Jens Jacob Eschels aus Altona in seinen 1835 erschienenen Memoiren. „Da es aber ein harter Anblick ist, die Fische so laufen zu lassen, wurde Schiffsrat gehalten und schließlich ein Stell Leinen gebracht. Ein Harpunier ging mit der Harpune auf das Eis und schoss in einen Wal fest (...) Wenn der Fisch hart zog, gaben wir etwas nach, wenn nicht, zogen wir ihn zurück. Dadurch wurde der Fisch müde, und da er endlich, um Luft zu schöpfen, zwischen zwei Eisschollen auftauchte, liefen die Offiziere und stachen ihn tot.“

Im Jahr 1770, mit „elf Jahren, zwei Monaten und 25 Tagen“, hatte der auf Föhr geborene Autor auf einem Walfänger angeheuert, anfangs als „Backs-Junge“, der den Kapitän und seine Offiziere bediente. Eschels stieg zum Steuermann und schließlich zum Kapitän auf, bis er 1842 in seinem Haus in Altona starb.

Da die Wale nicht direkt vor der eigenen Küste zu finden waren, mussten die Schiffe ihnen nachreisen: „Grönlandfahrer“ nannten sich die Boote. Laut Helmut Kersten vom Walarchiv in Hamburg waren zunächst die Holländer führend bei der Jagd auf Robben und sogenannte Glattwale.

Doch die Norddeutschen zogen eilig nach: 10.000 Ausfahrten sind in der Grönland-Fahrerzeit vom 17. bis 19. Jahrhundert dokumentiert, allein aus Hamburg brachen 6.000 Schiffe auf. Es folgten das damals eigenständige Altona, Bremen, Emden und Glückstadt. Kleinere Orte, vor allem auf den Inseln und Halligen, entsandten zwar keine Schiffe, wohl aber die Männer, um sie zu besetzen: Jens Jacob Eschels Vettern, Brüder und der Vater jagten Wale – ganze Dörfer hingen ab vom Erfolg der Grönlandfahrer. Lebensgefahr durch Stürme und Eis, schwere Arbeit und die ständige Drohung tödlicher Unfälle oder Krankheiten bestimmten den Alltag, da blieb kein Platz für Mitleid mit den riesigen „Fischen“, wie Wale damals in aller Selbstverständlichkeit genannt wurden.

Schließlich drohte den Männern und ihren Familien ein magerer Winter, wenn sie im Sommer ohne Beute blieben. Denn der Lohn der Matrosen und Offiziere als „Partfahrer“ bemaß sich am Gesamterlös der Fahrt. Entsprechend groß war der Ärger, wenn schlechte Ausrüstung oder Fehler die Tour verdarben. Jens Jacob Eschels erlebte das bei seiner ersten Ausfahrt: „Wir schossen verschiedene Male mit der Harpune in Fische fest, allein da unser Reeder in Amsterdam einen alten Inventarium gekauft hatte und also auch die Walfischleinen alt waren, so rissen diese jedes Mal entzwei, so dass wir leer nach Hause segeln mussten.“

Erfolgreiche Kapitäne dagegen schmückten sich mit ihrer Beute: Vor einigen Friesenhäusern, etwa dem Museum auf Föhr, stehen Tore, die aus den Rippenbögen eines Wals gebildet sind. In vielen Museen an der Küste sind Schnitzereien aus Wal-Elfenbein und Gerätschaften aus den Riesenknochen zu sehen.

Nach 1870 begann laut Historiker Kersten die Periode von Deutschlands Walfang-Abstinenz bei gleichzeitiger technologischer Aufrüstung. Es gab keine eigene Walflotte mehr, anders als bei den Norwegern, die mit neuen Methoden vor allem die schnellen Furchenwale hetzten. Aber es waren deutsche Forscher, deren Arbeit „sich in der Konsequenz als verheerender für die Walbestände als jede aktive Fangbeteiligung“ zeigte, so Kersten.

So erfand der deutsche Chemiker Wilhelm Norman die Fetthärtung, mit der es möglich war, aus Walöl Margarine zu machen. Erstmals konnten damit normale Menschen Teile des Wals essen – zuvor ließen sich nur hartgesottene Matrosen als Mutprobe ein Steak aus der Schwanzflosse servieren. Zeitweise wurde Deutschland weltweit der größte Abnehmer von Walöl.

In der NS-Zeit ließ die Regierung eigene deutsche Walfangflotten aufbauen, gestützt auf Wirtschaftsunternehmen: „Den Anfang machte der Seifen- und Waschmittelhersteller Henkel. Die Margarineindustrie folgte bald“, schreibt Kersten. Der Kriegsausbruch 1939 brachte den antarktischen Walfang weitgehend zum Erliegen. Nach dem Krieg durfte Deutschland keine entsprechenden Schiffe in Dienst stellen. Seit 1982 setzt sich die Bundesrepublik für den Schutz der Wale ein.

Esther Geißlinger