: Von James Brown bis Schostakowitsch
MUSIKFILM Vom Musikerporträt bis zur Festivalimpression. Bis zum Sonntag zeigt die dritte Ausgabe des „Unerhört!“-Festivals die ganze Bandbreite des Musikfilms: Clips, Spielfilme, formelle Dokus und Experimentelles
VON BARBARA MÜRDTER
„Wir sind kein Punkfestival, es gibt alles von Klassik bis Jazz“, betont Ralf Schulze, Leiter des Unerhört!-Musikfestivals, der sich selbst als „punksozialisiert“ beschreibt. Und als filmbegeistert. Vor vier Jahren hatte der Musikverleger die „Schnapsidee“, eine Reihe mit Musikfilmen ins Leben zu rufen. Ohne jede Erfahrung in der Festivalorganisation stellte er 2007 das erste Unerhört! auf die Beine, mit 20 Filmen. Inzwischen, im dritten Jahr, sind es dreimal so viele. Schulze wird aktuell von sieben ehrenamtlich Mitarbeitern unterstützt – neben zahlreichen weiteren Helfern: „Die Resonanz ist großartig. Wir haben ein Spitzen-Zielpublikum, auch wenn wir eine Nischenveranstaltung sind.“ Statt mit den anfänglichen 800 rechnet er jetzt mit 3.000 Zuschauern.
Gleich der Eröffnungstag zeigt die Bandbreite des Programms: In den Zeise Kinos läuft „Dem kühlen Morgen entgegen“, eine Doku-Spielfilm-Animation über das Leben des sowjetischen Klassik-Komponisten Schostakowitsch – in Anwesenheit des Hauptdarstellers Armin Müller-Stahl. Gleichzeitig zeigt das Abaton „Soul Power“, den Mitschnitt eines hoch ambitionierten Festivals, das 1974 den legendären „Rumble In The Jungle“-Boxkampf zwischen Muhammed Ali und George Foreman im damaligen Zaire begleitete. Die technisch und inhaltlich einmaligen Aufnahmen der Crème de la Crème der damaligen afroamerikanischen und afrikanischen Musikszene, von James Brown bis Miriam Makeba, hatten Jahrzehnte wegen Rechtsstreitigkeiten im Archiv geschlummert.
Der Film ist Teil des „Fokus Afrika“, einem der Themenschwerpunkte des Festivals. Wenn auch etwas schwer zu entdecken, gibt es im bunten Programm-Cocktail mehrere thematisch verbundene Filme: So werden zum 20. Jahrestag des Mauerfalls Filme über die Swing Kids unter der Nazidiktatur gezeigt („Schlurf – Im Swing gegen den Gleichschritt“), aus der ehemaligen DDR (Defa-Diskoclips, „Solo Sunny“) und aus der heutigen Bundesrepublik (u. a. Henna Peschels neuestes Werk „Dicke Hose“). Beim schwul-lesbischen Schwerpunkt hebt Schulze besonders „Topp Twins“ hervor, über ein schreiend komisches Musik-Komödiantinnen-Duo aus Neuseeland: „Das ist eines meiner persönlichen Highlights.“ Der neue Medienpartner, das Musikmagazin Spex, stellt die besten Musikvideos des Jahres vor und steuert Filmbesprechungen und Interviews für den Festival-Blog bei.
Schulz betont, dass bei Unerhört! der Musikfilm auch in all seinen formalen Facetten gezeigt wird: Vom Clip bis zum Spielfilm, von der formellen Doku bis zum experimentellen Film und vom Musikerporträt zur Festivalimpression. „Nur Konzertfilme haben wir eher weniger.“ Viele Filme sind Deutschlandpremieren oder das erste Mal im Norden zu sehen. So auch „ON / OFF“, der den (Post-)Punk-Freunden das Herz erwärmen dürfte: Der Berliner Labelmacher Tøni Schifer hat sich auf die Spuren des Bristoler Musikers Mark Stewart begeben. Dieser hatte um 1980 als Teenager mit „The Pop Group“ die britische Musikszene aufgemischt, gilt als Ziehvater von „Massive Attack“ und Tricky und ist bis heute musikalisch aktiv und innovativ. Auch hier werden Regisseur und Hauptdarsteller zum Publikumsgespräch zur Verfügung stehen.
Zum ersten Mal findet in diesem Jahr auch ein eintägiger Kongress statt. Damit soll das Festival als Branchentreffen für Musikfilmmacher weiter etabliert werden. Unerhört! sei auch eine Chance für die Filmemacher, ihre Arbeiten zu präsentieren und Kontakte zu knüpfen, meint Schulze. „Es gibt derzeit sehr wenige Plattformen für das Genre. Die finanziellen Bedingungen sind oft desaströs.“ Ein bisschen mag es da helfen, einen der in drei Kategorien ausgelobten Preise zu gewinnen, auch wenn sich damit lange kein Film finanzieren lässt.
■ Do, 3. 12. – So, 6. 12. in Zeise Kinos, 3001, Abaton und B-Movie. www.unerhoert-filmfest.de
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