Fluchtpunkt Museum

Kulturvermittlung Vertrautes aus der alten Heimat finden, Anknüpfungspunkte an die neue Heimat suchen: Bei Multaka gibt es Museumsführungen auf Arabisch – ein Angebot von Geflüchteten für Geflüchtete

Deutsche Geschichte, in einer arabischen Perspektive, bei den Multaka-Führungen Foto: Gisela Fock

von Gisela Fock

„Masa al-nur“, „masa“ al-full“ und „salam alaikum” schallt es durch die Foyers. „Dir einen leuchtender Tag“, „einen jasminigen Tag“ und „Friede sei mit dir“, wie man sich auf Arabisch begrüßt. Immer mittwochs und samstags ist das im Museum für Islamische Kunst, im Vorderasiatischen und im Bode-Museum oder auch im Deutschen Historischen Museum zu hören, wenn sich dort Geflüchtete bei „Multaka“ (arabisch für Treffpunkt) einfinden, dem Flüchtlingsprojekt der Staatlichen Museen, bei dem jede Woche arabischsprachige Geflüchtete zur Museumstour eingeladen sind. Geleitet werden die Führungen von Guides, die aus dem arabischen Kulturraum stammen. Die meisten von ihnen sind selber Geflüchtete, einige kamen als Studenten nach Berlin.

Geflüchtete führen Geflüchtete – diese Idee als Beitrag der Berliner Museen zur aktuellen Flüchtlingssituation stammt von Stefan Weber, dem Direktor des Museums für Islamische Kunst. Weber, ein Experte für syrische Baugeschichte, fand damit sofort volle Unterstützung bei Hermann Parzinger. Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz erklärte Multaka zum „Leuchtturm-Projekt“, auch die beteiligten Museen waren umgehend zur Zusammenarbeit bereit. Seit Dezember gibt es die Führungen, wegen des großen Andrangs kam zum Mittwochtermin jetzt der Samstag dazu.

Weber entwickelte zusammen mit der Kulturmanagerin Razan Nasreddine und dem Kunsthistoriker Robert Winkler ein inhaltliches Konzept, in dem der Dialog zwischen den Teilnehmenden und den Guides im Vordergrund steht. Multaka wird als eine Plattform angesehen, auf der sich Geflüchtete in ihrer Sprache reflektierend zu den Museumsobjekten austauschen können. Die Guides versorgen dabei ihre Gruppen mit den Hintergrundinformationen zum jeweils Gezeigten in den Museen.

Geschichte zur Gegenwart

Es geht also um Kommunikation. Beispielsweise so wie bei einer Führung im Museum für Islamische Kunst, bei der das berühmte „Aleppo-Zimmer“ für eine Wendung im Vortrag des Guides sorgte. Der verwies auf die multikulturellen Wurzeln dieses prächtigen Wandschmucks aus dem frühen 17. Jahrhundert, in dem islamische Maltradition mit einer christlichen Motivik ein ästhetisches Ganzes ergibt. Als sich aber ein Teilnehmer der Führung ebenfalls als ein Fachmann für solche Wandvertäfelungen zu erkennen gab, fand sich der Bogen vom historischen Ausstellungsobjekt in die Gegenwart. Im sich nun entspinnenden Gespräch war zu erfahren, dass es sich bei dem Fachmann um einen syrischen Tischler handelte, der noch bis vor kurzem Wandvertäfelungen dieser Art in Syrien selbst hergestellt hatte. Im Detail erklärte er, wie sie konstruiert ist.

Andere Exponate wie Fliesen aus dem irakischen Samarra oder aus dem syrischen Raqqa wecken bei den Führungen sentimentale Gefühle. Sie erinnern an das verlorene Zuhause und das politisch zerrüttete oder kriegszerstörte Heimatland. Gleichzeitig freuen sich die Teilnehmenden über die Wertschätzung, die ihre Kultur in Deutschland genießt, und sind ein wenig erleichtert, dass zumindest diese Ausstellungsstücke vor Zerstörung bewahrt bleiben.

Überwiegend SyrerInnen und IrakerInnen – den Hauptherkunftsländern von Geflüchteten entsprechend – beteiligen sich an den Führungen. Es gibt aber auch bereits zahlreiche Anfragen von AfghanInnen und IranerInnen, denen, so hofft man beim Projekt, ebenfalls mal Führungen angeboten werden sollen. Und anderen Nationalitäten. Die Erweiterung des Programms auf Farsi und Englisch wird anvisiert. Und auf Deutsch. Deutschsprachige Touren wurden von fortgeschrittenen Integrationskursen nachgefragt. Aktuell sind auch transkulturelle Workshops geplant, in denen Geflüchtete und Altberliner sich zu soziokulturellen Themen austauschen.

Der Erfolg des Multaka-Projekts basiert, wie die Auswertungen einer ersten Evaluation zeigen, auf dem Grundgedanken, die Bedürfnisse der Teilnehmenden ganz in den Mittelpunkt zu stellen.

Dabei lassen sich vor allem zwei Gruppen von Teilnehmern bei den Führungen unterscheiden: Die einen wünschen Bekanntes und Vertrautes wie im Museum für Islamische Kunst und im Vorderasiatischen Museum mit dem babylonischen Isch­tar-Tor zu sehen. Den anderen liegt es daran, historische Parallelen zu ziehen oder Vorbildhaftes in der deutschen Geschichte zu erkennen. Erfahrungen, wie sie sich im Bode-Museum und im Deutschen Historischen Museum, den anderen beiden bei Multaka beteiligten Museen, ergeben. Wenn etwa das Porträt Martin Luthers eine Syrerin dazu anregt, die Reformation und den Dreißigjährigen Krieg in einen strukturell vergleichbaren Bezug zum Arabischen Frühling und dem syrischen Krieg zu stellen.

Auch die deutsche Wiedervereinigung regt zur Reflexion mit der eigenen Situation an

Im Deutschen Historischen Museum steht die Aufbauleistung in der deutschen Nachkriegszeit bei vielen bei den Führungen im Fokus. Das dort in Fotografien dokumentierte Maß der Zerstörung und die heute doch glänzende materielle Situation Deutschlands wird von vielen Syrern bei Multaka auf das eigene zerstörte Land übertragen und auf eine Hoffnung auf Wiederaufbau. Und – näher zur Gegenwart hin – regt auch die deutsche Wiedervereinigung zur Reflexion mit der eigenen Situation an. Vorwiegend Iraker, konfrontiert mit der ethnischen und religiösen Teilung ihres Landes, aber auch zahlreiche Syrer, die eine politische Teilung ihres Landes nicht ausschließen, sehen darin ein Vorbild. Immer wieder regen die Demonstrationsbanner von 1989 mit der Aufschrift „Wir sind ein Volk“ zu Gesprächen an.

19 Guides sind für Multaka unterwegs, die für ihre Tätigkeit auch finanziell honoriert werden. Um sie zu finden, stellten private Netzwerke in der arabischsprachigen Community ihre Kontakte dem Projektinitiator Stefan Weber zur Verfügung. Die Museumspädagogischen Dienste der vier beteiligten Museen übernahmen dann deren Schulung zu den Ausstellungsobjekten, den eigentlichen Ablauf der Führungen entwickelten die Multaka-Projektleiter zusammen mit den Guides.

Finanzierung gesichert

Organisatorisch unterstützt wird Multaka von den Freunden des Museums für Islamische Kunst und dem Syrian Heritage Archive Projects am Museum. Auch die Finanzierung des Projekts ist mit Mitteln vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie der Schering Stiftung, des Deutschen Historischen Museums, von privaten Spendern und bald wohl auch vom Bundesbeauftragten für Kultur und Medien bis Ende 2016 gesichert. Aber auch darüber hinaus wird Multaka bestimmt weiter gebraucht werden.

Führungen mittwochs und samstags um 15 Uhr, Treffpunkt jeweils die Kassen/Informationen der Museen, die Teilnahme ist kostenfrei. Info: www.facebook.com/MultakaTreffpunktMuseum