Biolebensmittel

Der größte deutsche Ökobauernverband Bioland unterläuft trotz teurem Siegel seine eigenen Medikamentenverbote

"Ökologische Landwirtschaft ist ein lernendes System"

Medikamente Antibiotika machen Biofleisch nicht zum Etikettenschwindel, sagt Felix zu Löwenstein, Chef des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft

Felix Prinz zu Löwenstein

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61, ist Agrarwissenschaftler und Bio-Landwirt. Als Vorstandsvorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft ist er wichtigster Lobbyist der Bio-Bauern.

taz: Herr Löwenstein, Verbraucher gehen davon aus, dass Biofleisch ohne Antibiotika erzeugt wird. Aber auch in der Öko-Tierhaltung werden sie eingesetzt. Warum?

Felix Löwenstein: Tiere, die krank sind, sollen nicht leiden und müssen behandelt werden. Die Behauptung, dass keine Antibiotika eingesetzt werden, stellen wir deshalb auch nicht auf. Dass Antibiotika eingesetzt werden können, steht in allen Richtlinien, die einsehbar sind, auch die gesetzlichen Grundlagen sind entsprechend.

In den USA darf Fleisch nicht als Bio verkauft werden, wenn das Tier mit Antibiotika behandelt wurde. Warum ist das hier anders?

In den USA sind Gemischtbetriebe mit Bio- und mit konventioneller Tierhaltung üblich. Wird dort ein Tier mit Antibiotika behandelt, kommt es in den konventionellen Teil. Wir verlangen die Umstellung des Gesamtbetriebs, und deshalb haben die Landwirte nicht die Möglichkeit, ein Tier auf ihrem Hof in einen anderen Stall zu stellen.

Kann man dann nicht gleich konventionelles Fleisch kaufen?

Antibiotika werden in der ökologischen Tierhaltung sehr viel restriktiver gehandhabt. Aber darüber hinaus geht es um die gesamte Haltungsfrage: Was bekommen Tiere für ein Futter, und wie wird das angebaut? Können sie Regen und Sonne erleben und hat das Schwein die Möglichkeit, im Stroh zu wühlen?

Die Erzeugerverbände Bioland und Biokreis verbieten in eigenen Richtlinien Antibiotika wie Fluorchinolone, weil diese Menschen vorbehalten sein sollen. Jetzt ist herausgekommen, dass diese Medikamente doch für Tiere eingesetzt werden.

Diese Verbände haben ihre Regeln bis auf die Handelspräparate detailliert entwickelt. Aber das letzte Wort muss der Tierarzt haben, der die Verantwortung für die Gesundheit der Tiere hat. Wenn er in der Einzeltierbehandlung von den Vorgaben abweicht, braucht es aber eine Ausnahmegenehmigung.

In den Richtlinien steht aber nicht, dass der Tierarzt entscheidet, sondern der Einsatz dieser Antibiotika verboten ist.

Nein. Dort steht, dass die Verordnung – und damit die Entscheidung – in der Verantwortung des Tierarztes liegt.

Kurz darunter verlangen die Regeln, dass die Liste der verbotenen Medikamente zu beachten ist. Ausnahmegenehmigungen sind nicht vorgesehen.

Weil sie beachtet werden muss, müssen Abweichungen mitgeteilt und Ausnahmegenehmigungen beantragt werden. Unser Ziel in der ökologischen Tierhaltung muss sein, so stabile Systeme zu bekommen, dass Medikamenteneinsatz nicht erforderlich ist. Davon sind wir in der Praxis noch entfernt. Das hängt auch mit Fragen der Tierzucht zusammen. Den wünschenswerten Zustand können wir aber nicht mit Richtlinien herstellen. Vielmehr braucht es Beratung und Betreuung der Betriebe. Die gesamte ökologische Landwirtschaft ist kein fertiger Zustand, sondern ein lernendes System.

Die Skandale nehmen zu. Ist die Biobranche zu groß geworden, um ehrlich zu sein?

Meine Wahrnehmung ist nicht, dass Skandale zunehmen. Aber die Herausforderungen steigen, je größer der Markt wird. Ich bin zuversichtlich, dass wir sie meistern. Das müssen wir auch, denn wir brauchen den Ökolandbau als Alternative.

Interview Anja Krüger