Offenbach im Abgrund

Wie sich der Humorist Konrad Beikircher und der Bassist Bernd Weikl an der Kölner Oper über „Orpheus in der Unterwelt“ hermachen – und den großen Stoff markerschütternd banalisieren

VON FRIEDER REININGHAUS

Gewiss muss das Theater alte Geschichten neu, zeitgemäß und prickelnd erzählen. Aber wie beim Beton kommt es darauf an, was man daraus macht. Jacques Offenbach, der in Köln geborene Sohn eines jüdischen Kantors, wurde als 12-Jähriger nach Paris geschickt, auf dass er dort sein Glück mache. Er tat es: Zuerst als Cellovirtuose, dann als eigentlicher Erfinder der Operette. Gestützt auf die Librettisten Hector Crémieux und Ludovic Halévy gelang ihm 1858 mit „Orphée aux enfers“ der Durchbruch von der lokalen Berühmtheit zum Weltruhm. Mit der Travestie des ältesten aller Opernstoffe – des Orpheus-Mythos – entwickelte das Trio ein brillantes Modell scharf gewürzter Gesellschaftskritik. Im Spiel mit Absurditäten des bürgerlich-kapitalistischen Alltags nahm es die Auflösung der bis dahin gültigen moralischen Normen und mit dem Götterhimmel die Staatsspitze, mit dem Göttervater Jupiter den Kaiser Napoleon III. ins Visier.

Dass der Kabarettist Konrad Beikircher die Intentionen von Offenbach und Co. versteht, muss bezweifelt werden. Zusammen mit Bernd Weikl unterzog er Offenbachs zweiaktige opéra-bouffon einer tief greifenden Umarbeitung. Die Kölner „Neufassung“ verlegte die Handlung vom stark gealterten Olymp in eine von Präsident Jupp geleitete brutal karnevalistische Prunksitzung der „Freude schöner Götterfunken von 1824 e.V.“, die in einer schäbigen griechischen Kneipe mit und in Nippes schunkelt. Offenbachs abgründiges Etablissement Hades mutierte zu einem Studio von XXL-TV, das Pluto als „mehrfacher Müllionär“ betreibt.

Vernutzte Charge

Aus dem idyllischen Theben, in dem die Ehe des Violinprofessors Orpheus mit seiner lebenslustigen Frau scheitert, weil beide akuteren erotisch-sexuellen Neigungen nachgehen, wurde der verkehrsberuhigte Kölner Neumarkt: Eurydike serviert in der „Oase“ am Eingang zum unterirdischen Straßenbahngleis. Zur Unterstützung seiner „Anmache“ bringt der miese Pluto (Hauke Möller) einen Trupp Funkenmariechen mit. Hätte er so wenig nötig wie der schwarze Orpheus Musa Nkuma, der mit robuster Tenorstimme göttliche Männlichkeit beglaubigt, männliche Göttlichkeit. Doch traute der Regisseur ihr so wenig wie größeren Teilen der Offenbachschen Musik. Sie wurde einfach weggekürzt. Und schon lange bevor sich die Gardine zur Pause zuzog, bekundete das gutwillige Kölner Publikum lautstark Unwillen über die platten Witzchen und die musikalische Unzulänglichkeit. Eine vernutzte Charge der „Lindenstraße“ bestritt, kläglich singend, die Partie der „Öffentlichen Meinung“ – sie hat Orpheus dazu zu nötigen, bei den Göttern wegen der Rückerstattung der von Pluto getöteten Eurydike vorstellig zu werden.

Offenbachs Spiel auf Liebe und Tod, bürgerliches und ewiges Leben wird markerschütternd banalisiert. Beispielsweise gelangt die penetrant distonierende Soubrette dank Beikircher/Weikl durch eine Schönheitsoperation an Bauch und Brüsten, nicht durch gewaltsamen Tod, ins diabolische Elysium der Mediensphäre. Dort schwebt nicht nur Karnevalspräside Jupp als zentnerschwere Fliege mit Faschingskäppi umständlich vom Schnürboden, sondern versieht auch der vom großen Vergessen heimgesuchte Butler Styx seine Servierdienste. Und das ist leibhaftig der frühere Kölner Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes. Der wurde bekannt mit medienwirksamen Verkehrskontrollen, als Spinne im sozialdemokratisch-parteiübergreifenden Kölner Korruptionsnetz, Dichter des Sachbuchs „Lügen haben lange Beine“ sowie notorisch vergesslicher Zeuge. Nun darf er das Publikum mit drei nicht enden wollenden Strophen der Erinnerung an seine heroische Berufsausübung entnerven. Der Mann wäre besser in Beugehaft aufgehoben als auf der Bühne, um einen Alzheimer-Patienten zu mimen.

Dass ein Kapellmeister mit der scheinbar einfachen Musik des genialen Jacques O. überfordert ist, kommt häufiger vor. Auch, dass ein Humorist mit dem Versuch scheitert, historische Gesellschaftskritik mit seinem harmlosen Gemüt zu neutralisieren. Nicht nur im Sinne von „Werktreue“, sondern weit eher unter Aspekten der Wahrung von künstlerisch-technischen Minimalstandards aber muss nach diesem Fiasko die Frage nach der Verantwortlichkeit aufgeworfen werden. Der noch relativ frisch im Amt tätige Kulturdezernent Georg Quander könnte sich profilieren. Er sollte die Weichen in eine Richtung stellen, die das Opernhaus aus der Umklammerung der fünften Jahreszeit und der Miserabilität aller Gewerke führt.

Orpheus in der Unterwelt, Oper Köln26., 27., 29. 10. und im NovemberKarten: 0221-22128400