„Spekulieren verstößt nicht gegen das Gesetz“

Das bleibt von der Woche Hertha steht nach Ewigkeiten wieder mal im Halbfinale des DFB-Pokals, den Spielkasinos geht es an den Kragen, im Dauerkonflikt der Boulevardbühnen am Kurfürstendamm denkt man jetzt an Denkmalschutz, und am Potsdamer Platz will man keinen NVA-Soldaten mehr sehen

Unsere Stadt soll sauber werden

Neues Spielhallengesetz

Es geht bei der Regelung gar nicht nur um Suchtbekämpfung

Spielsucht ist eine Krankheit, die Existenzen zerstören kann. Zwar ist die Zahl der Spielsüchtigen in Deutschland laut Erhebungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung insgesamt rückläufig, doch ein ernstes Problem bleibt die Krankheit mit rund einer halben Million Betroffenen immer noch.

Diesen Menschen – häufig männlich, jung, migrantisch – bei der Überwindung ihrer Sucht zu helfen ist die richtige Idee. Die Verschärfung des Spielhallengesetzes, die von den Regierungsfraktionen am Mittwoch im Abgeordnetenhaus vorgelegt wurde, ist dafür aber kaum der richtige Weg. Denn, das sagen SuchtexpertInnen seit Jahren: Es geht nicht um Verbote, sondern um ­Aufklärung, Prävention und Therapie. Die Neuregelung, nach der ein Mindestabstand von 500 ­Metern zwischen zwei Spielhallen eingehalten werden muss und Bußgelder für Regelverstöße der Betreiber drastisch erhöht werden, wird dazu führen, dass ein Großteil der Kasinos schließen muss. Dass sich aber einer der rund 27.000 spielsüchtigen Berliner von seiner Sucht abbringen lässt, wenn es in seinem Kiez nur noch drei statt zehn Spielhallen gibt, ist sehr unwahrscheinlich – zumal das Glücksspielgeschäft im Internet boomt.

Aber, und das sagt der SPD-Abgeordnete Daniel Buchholz, der die Verschärfung der Gesetzesregelung maßgeblich vorangetrieben hat, selbst: Es geht dabei gar nicht nur um Suchtbekämpfung, sondern darum, dass die Spielhallen aus dem Straßenbild verschwinden – Buchholz ist stadtentwicklungs- und nicht etwa gesundheitspolitischer Sprecher seiner Fraktion.

Natürlich, Spielhallen sind keine ästhetischen Vorzeigeobjekte. Dass eine stadtpolitische Aufwertungsmaßnahme – die schmuddelig wirkenden Kasinostraßen in Wedding oder Neukölln sollen verschwinden – mit einer so drastischen Maßnahme durchgedrückt wird, sollte aber dennoch zu denken geben. Die immer gleichen Hipster-Cafés und Bioläden, die dort einziehen werden, machen das Straßenbild jedenfalls auch nicht gerade abwechslungsreicher. Malene Gürgen

Fast schon eine Mausefalle

Ku’damm-Theater

Das Quartier ist für Investoren ein Spekulationsobjekt und kein Kulturort

Man könnte in London durchaus auf den Gedanken kommen, dass Berlin jetzt dem West End Konkurrenz machen möchte. Denn das Theater um die Thea­ter am Kurfürstendamm ist dem am längsten ununterbrochen aufgeführten Stück der Welt langsam hart auf den Fersen. „Die Mausefalle“ von Agatha Christie geht in London seit den 50er Jahren täglich über die Bühne. Auch auf dem Programm der Komödie und dem Theater am Kurfürstendamm steht seit Jahrzehnten ein Dauerbrenner – nämlich „Vorhang auf für die Abrissbirne“. Und seit der Sitzung des Kulturausschusses am Montag ist klar, dass das Ganze in die nächste Runde geht.

Dass es keine Lösung und keine gesicherte Zukunft für die traditionsreichen Boulevard­bühnen gibt, haben in erster Linie die jeweiligen ­Eigentümer der Immobilien zu verantworten. Die geben sich seit den 1980er Jahren am Ku’damm-Kar­ree, in dem die beiden Bühnen beheimatet sind, die Klinke in die Hand. Das Quartier ist für sie ein Abschreibungs- oder Spekulationsobjekt, kein Investi­tionsvorhaben auf Dauer. Schon gar nicht in Sachen Kultur.

Ballymore Properties, der irische Vorbesitzer mit zweifelhaftem Ruf, hat nun an die Münchner Cells Bauwelt verkauft. Ob deren Engagement wirklich sticht, muss abgewartet werden. Bislang hat Cells Bauwelt eine Räumungsklage gegen die Thea­ter angestrengt und plant deren Abriss – was doch mehr nach Spekulation als nach einem kulturellen Engagement riecht, auf das sich übrigens alle Käufer berufen haben.

Spekulieren verstößt nicht gegen das Gesetz. Umso mehr wären darum der Senat und der Bezirk jetzt am Zug, das Theater aus dem Dauerkonflikt mit immer neuen Investoren und deren Plänen am Ku’damm-Karree zu nehmen und eine langfristige Nutzung zu sichern. Zu Recht forderten alle Fraktionen im Ausschuss, die Bühnen unter Denkmalschutz zu stellen. Denn die Theater sind legendär. Die Komödie und das Theater am Kurfürstendamm stammen von Oskar Kaufmann, einem berühmten Theaterarchitekten der 20er Jahre. Die Qualität und Originalität der Ku’damm-Bühnen sind von großer kultureller Bedeutung für Berlin.

Das Land Berlin hat auf den Denkmalschutz der Theater bisher verzichtet, um keine Investoren zu verschrecken. Nur: Was haben diese in den vergangenen Jahrzehnten ins Karree investiert? Kaum etwas. Wie lange wollen wir also dieses Spiel noch weitermachen? Bis wir die „Mausefalle“ eingeholt haben? Rolf Lautenschläger

Berlin ist halt weiterhin geteilt

NVA-Soldat ausgemustert

In Kreuzberg geht man liberaler mit politischem Mummenschanz um

Der Tourismus ist eine Macht, das darf man nicht unterschätzen: Er kann langsam, aber sicher Kulturen verändern, wenn zum Beispiel dickbäuchige Westler allzu freizügig durch heilige Stätten des fernen Ostens pilgern; wenn die für die Reisenden nötigen Hotels und sonstigen Unterkünfte auf Kosten anderen Wohnraums gehen, worauf Berlin durch ein faktisches Verbot von Ferienwohnungen regiert hat. Und wenn urplötzlich mitten in der Stadt falsche Soldaten aus Mauerzeiten herumstehen, die gegen Gebühr noch falschere Visa vertreiben, darf man schon mal fragen, ob das nur karnevalesk ist oder Geschichtsvergessenheit.

Am Dienstag, also schon einen Tag vor Aschermittwoch, war für einen „NVA-Soldaten“ die Zeit des Verkleidens vorbei: Das Verwaltungsgericht gab dem Bezirk Mitte recht, der dem Mann untersagt hatte, am Potsdamer Platz in voller DDR-Montur gegen Zahlung von zwei bis drei Euro Einreiseerlaubnisse an Touristen zu verteilen. Der Bezirk Mitte hatte bereits vor einiger Zeit entschieden, dass an „historisch bedeutsamen Orten“ wie dem Brandenburger Tor, dem Gendarmenmarkt und dem Potsdamer Platz keine sogenannte Sondernutzungserlaubnis ausgestellt wird. Die ist nötig für besondere Aktivitäten im öffentlichen Raum, besonders wenn damit Geld verdient wird. Die Argumentation des Klägers, er mache Kunst gegen Spende, ließ das Gericht nicht gelten.

Das Urteil, da sind sich der Sprecher des Gerichts und der zuständige Stadtrat von Mitte, Carsten Spallek (CDU), einig, betrifft nicht nur die historisch am Potsdamer Platz völlig deplatzierten NVA-Soldaten, sondern auch verirrte GIs, Tommys und sogar Darth Vaders, die sich an dieser Stelle Berlins zumindest mal herumgetrieben haben könnten.

Doch nur wenige Meter von Mitte entfernt, am Checkpoint Charlie, der bereits zu Kreuzberg gehört, geht man laut Spallek „deutlich liberaler“ mit dem politischen Mummenschanz um. Dort kassieren seit Jahren „Soldaten“ unterschiedlichster Herkunft, vom Bezirk toleriert, ab – und zwar so professionell, dass mögliche Nachahmer mit Nachdruck vertrieben werden.

Der Umgang mit dieser Art von Kommerzkarneval für Touristen zeigt, dass Berlin eben auch mehr als 25 Jahre nach Abschaffung der Nationalen Volksarmee weiter geteilt ist. Und das Soldatenverbot „drüben“ und die Soldatentoleranz in Westberlin sind doch irgendwie ein Symbol dafür. Bert Schulz

Hertha wieder mal historisch

Die Kicker im Halbfinale

Plötzlich kann man für Hertha sein, ohne bereits vorab als Fan aufgefallen zu sein

Als dann Hertha letztlich souverän an diesem Mittwoch das Spiel gegen Heidenheim mit 3:2 gewonnen hatte, war das allemal ein historischer Sieg. Seit 35 Jahren nämlich, so wurde allseits vermeldet, steht der Fußballclub wieder erstmals in einem Halbfinale des DFB-Pokals.

Vor 35 Jahren, da war Bonn noch die Hauptstadt des einen Deutschland.

Aber für das eigene Seelenheil braucht der Hertha-Fan sowieso ein wirklich ausgeprägtes historisches Bewusstsein, um etwas vorzuweisen zu haben. Doch, das Team war schon mal Deutscher Meister. Zweimal. Zuletzt 1931. Ein anderes Deutschland hieß noch Deutsches Reich. Aber Geschichtsschreibung sollte ja nicht nur ein trostsuchender Blick zurück sein, sondern mehr noch eine fortlaufende Sammlung von erinnerungswürdigen Ereignissen. Was doch nicht nur allweil schmerzhafte Niederlagen sein müssen; zwischendurch darf sich schon mal ein Erfolg finden, um nicht immer nur bang in die Zukunft sehen zu müssen.

Und da kann der in den vergangenen Jahren leidgeprüfte Hertha-Fan, als es eigentlich stets nur gegen den Abstieg ging – der manchmal nicht vermieden werden konnte –, derzeit den Kopf oben halten. In der Bundesliga steht man Champions-League-verdächtig weit oben. Das Pokalfinale in Berlin ist nur noch ein Spiel weit entfernt.

Erfolg macht attraktiv. Plötzlich kann man für Hertha sein, ohne bereits vorab als ausgewiesener Fan aufgefallen zu sein. Und Hertha ist tatsächlich wieder ein Thema in dieser nicht unbedingt fußballversessenen Stadt.

Schön dabei auch, dass sogar mal die hauptstädtische Großmäuligkeit funktioniert. Hatte doch der Trainer Pál Dárdai bereits im Juni 2015, als Hertha gerade wieder mal knapp dem Abstieg entronnen war, verkündet, dass er in diesem Jahr mit seinem Team im Pokalfinale stehen will. Ein Erfolg mit Ansage.

Wobei der historischen Gerechtigkeit wegen doch erwähnt werden muss: Das mit den historisch markanten 35 Jahren gilt nur für Herthas Profis. Denn auch 1993 stand eine Hertha im Finale, und zwar richtig sensa­tionell: weil es sich dabei um die 2. Mannschaft handelte. Die Amateure. Hat man ein wenig übersehen. Sie verloren dann das Spiel knapp mit 0:1.

Jetzt aber ist natürlich alles möglich. Heißt doch immer: So ist Fußball.

Man könnte sogar das Hoch wieder verspielen.

Thomas Mauch

Das Interview