MUSIK

MusikPhilipp Rhensiushört auf den Sound der Stadt

Musikalisch gesehen sind die 2010er-Jahre ja so was wie die neuen 80er. So wie Post-Punk und Industrial damals der neuen bunten Popwelt mit radikaler Schwarz-Weiß-Ästhetik begegnete, erscheint die Renaissance der Düsterheit in der elektronischen Musik als Antwort auf die heimelige Retro-Welt der Popcharts. Das zeigen die Publikumserfolge der Festivals CTM und Atonal. Um diese These zu überprüfen, lohnt sich ein Besuch des Atonal-Ablegers New Codes Festival im Kraftwerk-Komplex. Dort trifft mit den beiden skandinavischen Labels Northern Electronics und Posh Isolation die aktuelle Crème de la Crème der experimentellen elektronischen Musikszene aufeinander, die unterschiedliche Stile wie Techno, Punk, Noise und Ambient vereint. Neben Norin, dem existenzialistischen Synth Pop-Projekt des Lust-for-Youth-Sängers Hannes Norrvide, wird es Livesets des tribalistischen Noise-Techno-Projekts Lundin Oil geben. Freitag steht neben Simo Cell vom Bristoler Label Livity Sound, ein rarer Gig des Hamburger Pudel-Club-Residents Nina auf dem Programm, die in ihren Am­bient- und Drone-DJ-Sets genauso verstörende wie schöne Parallelwelten bastelt. (Köpenicker Str. 70, 11.–2. 2., 22 Uhr)

Ein musikalisches Antidepressivum nach diesen Dissonanzen gefällig? Am Sonntag sei die Interpretation der legendären Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach durch den Meister des lakonischen Witzes Jacques Palminger empfohlen. Dort erwartet einen „eine mental-positivistische Gruppenhypnose mit surrealistischem Mehrwert und maximalem Glücksversprechen“. Zusammen mit dem Multiinstrumentalisten Lieven Brunckhorst (u. a. Tenorsaxofon, Querflöte, Mundharmonika, Glockenspiel) und Jörg Follert (Sounddesign & Psychoakustik) wird Wortkünstler Palminger dem Klassiker eine Dosis Psychedelik injizieren. (Rosa-Luxemburg-Platz, 14. 2, 17 Uhr)

Und anstatt den Nebel des Wochenendes zu verbannen, lässt sich am Montag problemlos wieder in ihn eintauchen. Das Stück Atmosphères des polnischen Komponisten, das vom deutschen Symphonieorchester unter der Leitung des usbekischen Dirigenten Aziz Shokhakimov aufgeführt wird, ist nichts weniger als eine klanggewordene Nebelwand. Das polyphone Werk, das bei der Uraufführung 1961 die Sinne des Publikums verwirrte, besteht aus 87 Einzelstimmen, die sich zu einer hyperverdichteten Wolke zusammenfügen, um später wieder in seine Einzelteile zu zerfallen. Ein Stück, so außerweltlich, dass Stanley Kubrick es als Soundtrack für seinen monumentalen Science Fiction-Klassiker „2001 Odyssee im Weltraum“ verwendete. (Herbert-von-Karajan-Str. 1, 20 Uhr)