Wenn es wirklich ein Zeichen der Unterdrückung ist, sollte ich Kopftücher dann nicht ablehnen? Aber warum stellt sich die Frage nicht bei Nonnen?
: Warum einmischen?

Foto: Lou Probsthayn

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Alle muslimischen Frauen, die ich persönlich etwas besser kannte, trugen kein Kopftuch. Vielleicht ist das ein Zufall, vielleicht ist das kein Zufall. Ich habe nie mit ihnen über Kopftücher gesprochen. Es ist auch irgendwie merkwürdig, über etwas zu sprechen, das nicht vorhanden ist, das Kopftuch eben. Oder zu meinen, dass eine Muslimin eben ein Kopftuch zu tragen hätte. Anscheinend eben nicht. Aber dies gäbe ein eigenes Thema ab.

Ich halte nicht viel von Religion. Ich habe keine. Und ich will nicht mal sagen, dass das das Leben einfacher macht. Es scheint aber so, dass aus irgendwelchen Gründen Vorschriften und Rituale immer dazu gehören. Das katholische Beichten, zum Beispiel, finde ich der psychischen Gesundheit von Kindern nicht unbedingt zuträglich. Aber nun. Wir nehmen das hin.

Oder die orthodoxe Nonne trägt ein ähnlich langes, verhüllendes, schwarzes Gewand, wie die strenge Muslimin, natürlich trägt auch sie ein Kopftuch. Das gehört zu ihrer Ordenstracht. Daran stößt sich allerdings keiner, wie vor Kurzem in Göttingen in einem Hotel geschehen, als Gäste nicht von einer muslimischen Auszubildenden im Kopftuch bedient werden wollten. Der Hoteldirektor gab den Gästen zu verstehen, dass er eher auf sie als auf seine Angestellten verzichten würde. Gut so. Die Gäste hatten übrigens angegeben, sie würden sich seit den Anschlägen in Paris vor Moslems fürchten. Nun gut, von Nonnen sind in letzter Zeit keine Anschläge verübt worden, von Moslems schon. Andererseits gab es schon deutsche Christen, die Menschen in Gaskammern trieben und da könnte man glatt vor allen deutschen Christen auch eine tiefe Furcht bekommen. Man glaubt aber, dass die meisten deutschen Christen ­so was heutzutage nicht mehr tun würden, bei den Moslems sind sich manche Hotelbesucher da anscheinend nicht so sicher. So kommt es, dass sie sich vor einem jungen Mädchen, einer Auszubildenden, fürchten, weil dieses Mädchen ein Kopftuch trägt.

Ich weiß nicht genau, wie ich das Kopftuchtragen finden soll. Wenn es wirklich ein Zeichen der Unterdrückung ist, sollte ich es dann, im Interesse der Frauen, die unterdrückt werden, nicht ablehnen? Aber warum stellt sich die Frage nicht bei den Nonnen? Bei den Nonnen wird davon ausgegangen, dass die das Kopftuch ganz freiwillig gewählt haben, die haben ja natürlicherweise auch keinen Mann, außer dem Herrn, der sie dazu zwingen könnte, und nicht einmal der tut das. Bei den Musliminnen wird oft davon ausgegangen, dass sie so etwas wie freien Willen nicht haben, und das finde ich eine ein bisschen anmaßende Annahme. Ob ich die Gründe, warum sich eine Frau für ein Kopftuch entscheidet, überzeugend finde, ist eine andere Sache.

Ich finde die Gründe, die für ein Leben im Kloster sprechen, auch nicht überzeugend. Allerdings ist ein Kopftuch ein Kleidungsstück, das eine Frau nicht entstellt. Es ist ein Accessoires. Es gehört wahrscheinlich für viele muslimische Frauen einfach dazu, so wie es für den deutschen Eigenheimbesitzer dazu gehört, einen Rasen wie einen Teppich zu haben. Niemand zwingt ihn dazu, außer der Nachbar mit seinen Blicken, der Kleingartenverein, ein innerer Druck, eine Qual, die er empfinden würde, wenn ein Wildwuchs auf seinem Grundstück begänne. Mir gefällt das nicht besonders, mit dem gekämmten Rasen und den rechtwinklig beschnittenen Hecken, ich mag mehr die wilde Natur.

Aber wer bin ich, dass ich mich einmische? Wer bin ich, dass ich einem Menschen vorschreibe, was er glaubt, oder was er anzieht? Es ist eben genau dies ein wichtiger Bestandteil unseres Wertesystems, dass wir die Menschen sich anziehen lassen und glauben lassen, was sie wollen.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit Interesse ­am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.