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Erhöhte Alarmbereitschaft

CTM Filigraner Furor: Das japanische Noise-Duo Group A im Berghain mit einem irisierenden Schattenreich des Lärms

Flüssige weiße Schlieren sickern in die nachtschwarze, formlose Masse ein oder dringen in Rinnsalen an ihre Oberfläche. Aus entgegengesetztem Blickwinkel weicht das schwarze Nirgendwo vor den farblosen Gebilden zurück, zeigt in einer Aufblende die Entstehung von Formen inmitten der Schwärze.

Allein die Videoprojektion in den ersten Minuten des Konzerts des japanischen Noise-Duos Group A am Donnerstag im Rahmen des CTM-Festivals führt schon vor Augen, wie fixiert die gemeine europäische Wahrnehmung auf maximale Helligkeit oder Dunkelheit ist. Denn Schatten ist der Nährstoff für das Licht auf der Leinwand, für die Outfits und sichtbaren Hautflächen von Tommi Tokyo und Sayaka Botanic im Halbdunkel auf der Bühne des Berghain.

In einer Mischung aus Röntgenbild und Scherenschnitt entstehen die Silhouetten ihrer nackten Körper auf der Projek­tions­fläche, während die Sounds, die sie mit verzerrten Synthesizern, Geige und Stimme abgeben, erst einmal gewaltig wehtun. In den ersten Stücken zwingen Salven an schrill komprimierten Signalen und klirrenden Beats ohne greifbaren Rhythmus zu erhöhter Alarmbereitschaft, die elektronisch entstellte Stimme Tokyos heult bedrohlich auf.

Im Verlauf des Konzertes arbeiten sich beide von hohen Frequenzen zu tiefen, druckvollen Bässen, die von der Stelle weg zum Tanzen aufrufen. Beide performen barfuß – Botanic bebt beim Geigenspiel von einem auf das andere Bein und wird von Zuckungen durchschüttelt, Tokyo bewegt sich aufgekratzt zwischen Geräten und Mikrofon hin und her.

Die japanischen und englischen Texte erschallen als metallische Vibration und sind nicht in Worte zu dechiffrieren, sie befehlen aber selbst eine bewusst stumpf eingesetzte Drum-Machine zur Unterordnung. Die wüsten Vokalisationen Tokyos, stets knapp unter massivem Geschrei kontrolliert, lassen Tiraden gegen widerwärtige Daseinsbedingungen und für selbstbestimmten Furor erahnen.

Die gesamte Ikonografie des Duos zeigt einen Weg auf, das Rampenlicht in ein selbstermächtigtes Schattenreich umzuwandeln. Tokyo und Botanic tragen asiatische Kegelhüte, die ihre Augen verbergen, Tüllschleier und große Schleife unter dem Kinn nehmen Vorstellungen weiblicher Züchtigkeit aufs Korn. Ihre Hüte sind mit Alufolie bedeckt, mit welcher sie auch ihre Glieder umwickelt haben, eine Schicht Klarsichtfolie darüber fügt das dünne Material zu Strümpfen und Top an die Haut.

Jedes noch so schwache Lichtpartikel löst auf der Körperoberfläche nun Widerschein aus, Botanic und Tokyo fluoreszieren in Eigenregie. Anstatt sich von direktem Licht in Szene setzen zu lassen, nisten sie sich in den Falten düsterer Schattierungen ein und treten deshalb umso mehr in Erscheinung. Ihr Spiel mit den aufblitzenden Silberstreifen macht sich die Dunkelheit zunutze und löst sich von falschen Blendungen.

Die Performance von Group A lässt sich durchaus als fulminante Subversion von Geschlechterstereotypen verstehen, wie sie auf Bühnen der Popmusik noch immer bis zum Erbrechen perpetuiert werden. In der Videoprojektion prasseln erst schwarze Buchstaben des lateinischen Alphabets auf weißen Untergrund, aus weißen japanischen Schriftzeichen wird ein a, das sich selbst genug Symbol ist.

Gegen das irisierende Zusammenwirken von Lärm und Schattengestalten wirkte im Rückblick Takuya Taniguchi, der früher am gleichen Abend im HAU2 die Ehrfurcht gebietende japanische Taiko-Trommel mit halb entblößtem Oberkörper und großen Schlägeln aus Holz anschlug, überaus platt.

Kein Zweifel, dass Group A das Schattenspiel auch mit bunten Farben beherrschen und hoffentlich bald wieder zu erleben sein werden – seit Januar sind die beiden in Berlin zu Hause. Franziska Buhre

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