Das ging ab

Jubiläum Die Fan-Familie des Zweitligisten 1. FC Union Berlin feiert in der Volksbühne den 50. Vereinsgeburtstag. Mit allerschönstem Dorfdisco-Feeling und einem gut gelaunten Jürgen Kuttner

Hand in Hand, Discofox. Allerschönstes Dorfdiscofeeling im Roten Salon

von Gunnar Leue

Man musste nicht erst aufs Vereinsjubiläum warten, um lauter Lobhudeleien auf den 1. FC Union, seine Fans und seine spezielle Fußballkultur zu lesen und zu hören. Das kennt man seit Jahren: Weihnachtssingen, WM-Sofa, Pipapo. Und doch gibt es immer wieder so kleine Momente, in denen man unversehens darauf gestoßen wird, dass Union beziehungsweise einige Mitglieder der vielbeschworenen Union-Familie echt nicht ganz normal ticken.

Voll normal, keiner glotzt

Einen solchen Moment gab es Freitagnacht in der Volksbühne. Im Roten Salon, vollgequarzt bis zum Gehtnichtmehr, lief Diskomusik aus jener Zeit, als der Klub gerade mal zehn war: Golden Earring, Suzi Quatro, Garry Glitter. Bei „Summer of 69“ von Bryan Adams, dem Neu-Oberschöneweider, schwoft ein nicht mehr junges Paar im „Heute gehen wir mal aus“-Outfit besonders sportlich übers Parkett: er im Anzug und mit Brille ins Haar geschoben; sie im feschen Kostüm und glitzernder Tasche. Hand in Hand, Discofox. Allerschönstes Dorfdiscofeeling im Roten Salon. Und völlig normal. Keiner glotzt, jeder hat selbst mit Feiern zu tun.

Auch Union-Präsident Dirk Zingler steht im Pulk und raucht und quatscht und wirkt beschwingt. Dat läuft. Ringsum perlt das Flaschenbier, angereicht von Barfrauen in T-Shirts mit der Losung des Tages auf der Brust: „Es lebe der 1. FC Union Berlin!“ Auf die Frage, ob sie denn auch Union-Fan sei, antwortet eine: „Nö“, das hätten die Veranstalter so gewollt. In Mitte ist eben nicht jeder automatisch in Union verliebt. Wir sind ja nicht in Köpenick.

Ja, warum eigentlich nicht? Weil Union auch gut hierher passt, wie Chefdramaturg und bekennender Union-Fan Carl Hegemann zu Beginn der Sause im großen Saal erklärt: „Es sind viele Menschen hier am Theater, die nicht nur das Theater lieben, sondern die auch Union lieben.“

Dann kommt Jürgen Kuttner an die Reihe, der eigens einen Videoschnippselvortrag zusammengestellt hat. Arbeiterverein und Arbeitertheater, vor gut hundert Jahren „mit Arbeitergroschen erbaut“, und dann ja auch zum „Stehplatztheater“ geworden. Kuttner kann wie immer viel erzählen. Auch dass er noch nie im Stadion war und tendenziell gar keine Ahnung von Fußball hat. Aber keine Ahnung haben hätte ihn ja noch nie von etwas abgehalten. Im Publikum nicken einige Damen, die offenbar Kuttner- und Volksbühnen-erfahren sind, beseelt, während manche Träger rot-weißer Trikots eher gebannt schauen, was wohl nun kommt. Erst mal Kuttners Frage: Könnt ihr eine La-Ola-Welle? Tatsächlich, von der Stadionkultur bei Union hat er wirklich keine Ahnung. Lautes Buh-Rufen.

Großer Jubel dagegen, als Kuttner „zum Ranwanzen“ an die Unioner einen Ausschnitt aus dem DDR-Fernsehen vom Mai 1988 zeigt, als Union das Wunder von Karl-Marx-Stadt und in letzter Sekunde das 3:2 und der Oberliga-Klassenerhalt gelingt. Bei der Gelegenheit kommt ihm die hübsche Idee, ein großes Union-Spiel im Theater nachzustellen, so fünf Stunden lang. Womit wieder der Bogen gespannt war zum hiesigen Ausnahmetheater, das „nach 100 Jahren nun auch so ein Arschlochtheater wie alle anderen“ werden solle. Schönen Gruß an die Fans des Volksbühne-Umbaus zum Eventschuppen, den einige mit dem bevorstehenden Intendantenwechsel kommen sehen.

Als Breitseite gegen die Werbe- und Vermarktungsfritzen dient dann die deutsche Schlagerversion von „Paranoid“, die nun aus aktuellem Anlass die „Cindy-&-Bertisierung“ des deutschen Fußballs belege. Was das mit 50 Jahre Union zu tun habe? „Union ist Black Sabbath, und der restliche Scheiß ist Cindy & Bert.“ Woraufhin aus dem Publikum der Försterei-Chant erklingt: „Wir sind Unioner, wir sind die Kranken, wir durchbrechen alle Schranken!“ Na super, sagt Kuttner und findet, dass nach seiner ganzen Anranzerei nun doch noch bisschen Provo sein müsse. Also: „Scheiß Union! Fickt euch!“ Hm, wat soll dat denn? Ah ja, is ja Theater hier.

Westbam meets Oasis

Dann ist die Party eröffnet. Remmidemmi im ganzen Haus. Im großen Saal legt Paul Galla­gher, der Bruder der berühmten Oasis-Brüder, auf, später noch Westbam. Und im Roten Salon singen Die Atzen „Hey, das geht ab“, eine allseits bekannte Hymne auf Hertha. Scheißegal, geht auch ab.