Der Mann hinter dem Gedudel

KLANGTEPPICH Im Schuhladen und im Fahrstuhl, in der Telefonwarteschleife und im Kaufhaus schallt uns Hintergrundmusik entgegen. Erik Koerner stellt sie zusammen. Ein Besuch

Nervfaktor – in der Branche ist das das Reizwort schlechthin. Erik Koerner bringt es nicht aus der Fassung

VON GUNNAR LEUE

Neulich im Klamottenladen. Keinen Pullover gekriegt, aber ordentlich was auf die Ohren. Und zwar Kirmespop übelster Sorte. Auf die spontane Mitfühlgefühlsäußerung in Richtung Verkäuferin – „Ganzen Tag so ’ne Musik ist auch nicht leicht, oder?“ – kommt ein überraschender Konter: „Wieso, is doch schön!“

Egal, wohin man als potenzieller Konsument kommt – ob in Läden, Kaufhäuser oder Restaurants: Überall wird man mit Liedfetzen und allerlei Klingklang beschallt. Nur: Wer steckt eigentlich dahinter? Wo wird Einkaufsmusik zusammengestellt, verpackt und in die Konsumgebiete versendet?

Zum Beispiel in einem Gewerbegebiet in Marienfelde, im Süden Berlins. Zwischen der Zentrale von Auspuff-geiz-24.de und der Honorarkonsulstelle der Demokratischen Sozialistischen Republik Sri Lanka hat die Firma Shopmusic ihren Sitz in einem schnöden Plattenbau. Von den Fenstern blickt man aufs gegenüberliegende Industriegebäude, der Büroraum sieht ganz anders aus als sonst bei kleinen Musiklabels oder -vertrieben. An den Wänden hängen keine Poster, Fotos oder eingerahmte Platten von Musikern. Nur ein paar CDs stapeln sich in einem Regal. Das Zimmer wirkt aufgeräumt, genau wie die beiden Schreibtische, an denen zwei Männer hinter Bildschirmen sitzen.

Einer von ihnen ist Erik Koerner, der Chef von Shopmusic. Die Firma ist ein Anbieter von „Beschallungskonzepten, die auf die jeweilige Location und ihre Kundschaft abgestimmt sind“, wie es offiziell heißt. Die von Koerner zusammengestellte Hintergrundmusik läuft bundesweit in Modeboutiquen, Restaurants, Hotels, in den Caféshops einer Bäckereikette, in der Galerie Lafayette und im Kreuzberger Zalando-Store. Auch im Ausland hat Shopmusic Kunden.

Erik Koerner – das ist endlich mal ein Name, der für das Dudelgrauen steht, der ihm ein Gesicht gibt. Allerdings ist es gar kein unsympathisches Gesicht. Der 44-jährige Spätjugendliche mit dem gepflegten Vollbart hat nichts von einem Businesstypen, er redet auch kein Businesssprech.

Bitte unaufdringlich

Koerner war früher in der, nun ja, „richtigen“ Musikbranche tätig, als Labelpromoter vor allem für House- und Loungemusik. Ins Hintergrundmusikbiz ist er vor 15 Jahren eher zufällig geraten. Während seines Promoterjobs hatte er in Heidelberg und Umgebung einen parallelen Vertriebsweg für seine CDs aufgebaut. Er platzierte einen selbst entwickelten CD-Aufsteller in Mode- und Friseurläden. „Die Lounge- und Housemusik wurde damals von vielen Medien ignoriert“, berichtet Koerner. „Deshalb wollte ich sie und die Konsumenten auf unaufdringliche Weise zusammenbringen.“

Das klappte so gut, dass er monatlich bald tausend Scheiben von De-Phazz, Terry Brown jr. und Café-del-Mar-Sampler absetzte. Nachdem die Krise der Musikindustrie auch seinen Arbeitgeber voll erwischt hatte, konzentrierte sich Koerner 2001 auf seine eigene Firma. 2005 zog er mit ihr nach Berlin.

Hört man Erik Koerner erzählen, so hat sich seine Arbeit nicht groß geändert. Als Promoter habe er früher Musik an die Leute gebracht, die entspannen und unterhalten soll. Darum, sagt er, ginge es ihm heute immer noch.

Kucker werden Käufer

Die Leute mit Einkaufsmusik unterhalten und entspannen? Fragt sich nur, wozu. Selbst wenn die Musik die gleiche ist, soll sie die Kunden im Klamottenladen natürlich nur zu einem Zweck entspannen: Aus Kuckern sollen Käufer werden. Deshalb heißt das, was aus den Boxen kommt, zwar immer noch House- oder Lounge-Musik, ist dem Wesen nach aber Funktionsmusik.

Der Begriff bezeichnet alle Arten von Musik, die dem Menschen das Fahrstuhlfahren, das Warten in der Telefonschleife und das Einkaufsbummeln angenehmer machen sollen. Letzteres vor allem, denn unter einer Wohlfühlglocke herrscht das beste Konsumklima.

Das ist keine neue Idee. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts der Massenkonsum richtig in Schwung kam, buhlen die Händler mit spezieller Einkaufskultur um Kunden. Sie hatten von Gehirnforschern gelernt, dass ein angenehmes Ambiente den Kaufreiz fördere. Eine logische Entwicklung: Viele Warenhäuser begannen damit, eine von der 1934 gegründeten amerikanischen Firma Muzak produzierte Berieselung abzuspielen: unauffällige Begleitmusik zum „Hören, aber nicht Hinhören“. So hintergründig wie der Klangteppich, so unverhohlen die Absicht: Wie bei der Fließbandarbeit in den Autowerken sollte auch das Belegschafts- und Kundenverhalten rationalisiert werden. Der Trend blieb nicht auf die Vereinigten Staaten beschränkt: Das Label Deutsche Philips warb in den 1960er Jahren für seine funktionelle Musik als „billigste Methode, die Monotonie am Arbeitsplatz und die dadurch verursachte Langeweile, Enttäuschung und vorzeitige Erschöpfung zu vermindern“.

Die Hintergrundmusik hat sich mit der Zeit bis in die Landwirtschaft ausgedehnt. Hier wird freilich nicht der Bauer berieselt, sondern sein Vieh im Stall. Etwa zur Steigerung der Milchproduktion. So geht’s dem Nutztier nun wie dem Nutzmenschen, also dem Konsumenten, für den eigens der Ladenfunk erfunden wurde.

Der heißt heute Instore-Radio. Das größte in Deutschland ist das bereits 1989 gegründete Radio P.O.S. aus Kiel, das über Satellit und Internet Hunderte Musikformate in 12.000 Filialen, unter anderem von großen Supermarktketten, sendet. Die Firma Shopmusic ist dagegen eine kleine Nummer und sehr speziell ausgerichtet, trendiger könnte man sagen: 38 Musikkanäle mit je 3.000 bis 5.000 Titeln können bei ihr abonniert werden. Weil die CD auch im Ladenfunk ausgesorgt hat, kooperiert Shopmusic mit einer englischen Streaming-Firma und beliefert die Kundschaft über einen Server in London mit Musik.

House, Swing, Pop, Klassik

30 der Kanäle wurden in London zusammengestellt, wobei eine DJ-Agentur noch spezielle Remixe zuliefert – für den „Minimal House Chanel“, der von Trendshopläden gern abonniert wird. Acht Kanäle hingegen hat Koerner selbst mit Songs bestückt, mit Pop, Swing, Klassik sowie natürlich Lounge und House in allen Schattierungen. Sie heißen etwa „Breakfast Lounge“, „Hells and Happiness“, „Relaxation“ und „Pop Commercial“. Wie in der dudelstarken Adventszeit nicht zu überhören war, gibt es auch ein Saisongeschäft, neben den Weihnachtssongs sogar Jahreswechselmusik auf dem kurzzeitigen „Silvester New Years Eve Chanel“.

Damit niemand mit Kirmespop-Phobie aus den Läden seiner Kunden vertrieben wird, legt Koerner Wert auf eine stilvolle Songauswahl. „Wir arbeiten mit vielen Labels und Vertrieben zusammen und picken uns einzelne Titel für die Streams heraus, die zur jeweiligen Charakteristik des Kanals passen.“ Dazu gehöre, die versteckten Tücken herauszufiltern. „Zum Beispiel eine dissonante Passage in einem Jazzstück, bei dem den Shopbesuchern die Haare zu Berge stehen.“ Coverversionen bekannter Songs kämen besonders gut. Die kennt der Shopper und doch irgendwie nicht. Das senkt den Nervfaktor.

Nervfaktor – in der Branche ist das das Reizwort schlechthin. Erik Koerner bringt es nicht aus der Fassung. Nein, sagt er, ihn nerve die Beschallung beim Einkaufen nicht. „Das wird oft so negativ dargestellt. Für mich hat Hintergrundmusik nur einen negativen Aspekt, wenn sie uninspirierend und langweilig ist.“ Ruhige Musik im Hintergrund schaffe ein schöneres Ambiente. „Die Musik transportiert ja eine Stimmung und ein bestimmtes Gruppengefühl“, so Koerner. Deshalb setzen die Firmen sie heutzutage viel bewusster ein, um eine Zielgruppe zu erreichen.

Verkaufsambiente, Zielgruppe, schöner shoppen: Dass die Songs von ihren Schöpfern in der Regel nie als Klangtapete für Jeans- und Schuhläden gedacht waren, sondern als ein Stück künstlerischen Ausdrucks – diese Tatsache scheint so von gestern wie etwa Neil Youngs Weigerung, seine Musik für Werbung freizugeben. „Ja, früher empfanden die Künstler das als Verrat an ihrer Musik“, sagt Erik Koerner. „Heute ist die Kommerzialisierung allgemein akzeptiert. Bei uns hat sich noch niemand beschwert, dass wir seine Musik in einen unserer Kanäle eingespeist haben.“

Geld von der Gema

Im Gegenteil: Einige freuten sich laut Koerner, denn jeder Künstler wolle doch auch das Publikum erreichen. Und außerdem bringt es den Komponisten und Interpreten Geld: Geld von der Verwertungsgesellschaft Gema. Weil das umgekehrt für die Kunden in Handel und Gastronomie ein echter Kostenfaktor ist, basteln die Mariendorfer bereits an einem Kanal mit Gema-freier Musik, produziert also von Künstlern, die nicht von der Gema vertreten werden. Auf die Frage, ob er sich eher der Musik- oder der Werbebranche zurechnet, überlegt Koerner länger. „Meine Hauptmotivation ist gute Musik, da bin ich eher idealistisch.“ Und klar, Konsum mache nicht glücklich. „Ein Spaziergang im Wald ist auch mal schön.“

Vielleicht ist Ruhe ohnehin das nächste große Ding für den Geschäftsmann Koerner. Neben dem CD-Regal in seinem Büro stehen etliche Packungen mit kleinen Silikonröhrchen. Nicht für die Ohren, sondern für die Nase. Sie helfen angeblich gut gegen Schnarchen. Koerner vertreibt die Produkte einer kleinen Fremdfirma nebenbei. Denn geschnarcht wird immer. Und das, Bettgenossinnen wissen es, nervt mehr als jedes Hintergrundgedudel.