Spaß mit dem Schmuser der europäischen Kultur

Bunter AbendPatrick Wengenroth lädt zur zehnten Folge seines Autorenklubs an der Schaubühne – mit einer Collage zu Stefan Zweig im epischen Format

Rebsorte: Zweigelt. Macht klar: Es geht an dem Abend um Stefan Zweig

Einander eben noch fremde Menschen im Publikum tippen sich auf die Schultern im Globe Theatre der Schaubühne. Manche zeigen, wie zur Erklärung, auf die Bühne. Dabei sind da noch gar keine Schauspieler*innen. Klubsofa, zwei Klubsessel, drei Stehlampen mit warmem Licht. Was die Leute meinen, ist aber der Rotwein da vorn. Mit genug Plastikbechern, um den ganzen Raum zu versorgen.

Macht man dann auch in Eigenregie. Rebsorte: Zweigelt. Macht klar: Es geht um Stefan Zweig an diesem Donnerstagabend bei der zehnten Ausgabe von Patrick Wengenroths Au­torenklub. Aber, hey, Zweigelt – man will und wird auch Spaß dabei haben. „Die Welt von Gestern“ (Zweigs Selfie-Buch) muss nicht alt aussehen – obwohl da andererseits auch die Welt vom Vortag, das Springer-Blatt, über die Bühne flattert.

Die Fans von Patrick Wengenroth (und er hat viele hier, man hört es am Kichern und am Applaus) lieben diesen Mix aus Kalauer und klugem Kommentar. Hyperakkurat gescheitelt steigt er als Chansonnier in den Abend ein. Sein heller Dreiteiler erinnert an den von Thomas Mann im Visconti-Film. Milo Rau habe ja, sagt Wengenroth, diese Leinwand sowieso hier hängen lassen. Also wolle man sie auch bespielen. Irgendwann später, nachdem die großzügig eingesetzten Nebelmaschinen warm gelaufen sind, sehen wir eine Szene aus dem Schachnovellen-Film, in der Curd Jürgens ausrastet angesichts Wolfgang Wahls als Mondgesicht immer gleicher Miene.

„Schachnovelle“. So weit, so vorhersehbar. Aber Wengenroth zeigt auch einen Interview-Clip mit Hannah Arendt von 1964, in dem sie unterhaltsam überlegen den Interviewer Günter Gaus belehrt: „Männer wollen immer furchtbar gern wirken, aber ich sehe das gewissermaßen von außen. Ich selber wirken? Nein, ich will verstehen.“ Auch Leute aus dem Schaubühnen-Ensemble haben große Auftritte: Eva Meckbach schmettert herzzerreißend David Bowies „Rock ’n’ Roll Suicide“, Moritz Gottwald (der in „Romeo und Julia“ schon bewies, dass er singen kann) gibt den coolen Crooner mit einer Jazz-Nummer.

Einer der Höhepunkte kommt allerdings, wenn Gottwald, die Haare gegelt wie Dracula, eindringlich aus der Sprachgewalt­orgie „Krieg“ von Rainald Goetz rezitiert. Und Felix Römer darf sein an der Wiener Burg kultiviertes Wienerisch so richtig raushängen lassen, wenn er das historisch verbürgte Zweig-Bashing von Karl Kraus abzieht: „Heute einer der repräsentativen Schmuser der europäischen Kultur“ sei Zweig. Der Schriftsteller richte einem die eigenen Bildungslücken auch noch behaglich ein, man könne sein Werk ganz unten betreten und sei schon oben angekommen.

Die Jungs von Isolation Berlin spielen Songs wie „Aquarium“, in dem es, poetisch originell, darum geht, Goldfischkönigin und Tintenfische zu besuchen, um den Herzenskummer temporär zu betäuben.

Nach drei Stunden lichten sich die Reihen etwas und Wengenroth findet’s toll: „Castorf-Feeling!“

Wem all das ein bisschen too much Wengenroth-Drumherum ist, der bekommt auch einen schönen Vita-Plot serviert: Stefan Zweig (Ulrich Hoppe) hat Ehekrach mit seiner ach so vertrauten, wenn auch später geschiedenen Friderike (prima: Jule Böwe) wegen seines Emotions-Cocktails aus sympathischer Schüchternheit und exzessiver Egozentrik. Friderike erwischt Stefan auch in flagranti mit seiner Sekretärin Lotte, die er später heiratet und die mit ihm reist – bis in den Tod in Petrópolis bei Rio in Brasilien. Natürlich: der Selbstmord Zweigs. Die Szene beginnt sehr klamaukig mit einem Riesenglas Veronal, endet dann aber doch sentimental mit dem projizierten Todesfoto auf der Leinwand.

Vieles war auf Spaß ausgelegt an dem Abend: angedeutete Handjobs, der Running-Gag mit dem Degen im Stuhlpolster, die Ansichten Stefan Zweigs über errötende Mädchen. Es gab aber auch einen großen politischen Moment, Zweigs „Bekenntnis zum Defätismus“ (abermals grandios: Moritz Gottwald). Pazifismus und Humanismus vom vermeintlich so unpolitischen „Schmuser“ Zweig.

Eines seiner Versprechen blieb Wengenroth, der am Ende in Glitzer-Highheels von der Bühne wankte, dann aber doch schuldig: Die Drehbühne kam überhaupt nicht zum Einsatz. Es wird ja aber sicher auch eine elfte Episode seines Autorenklubs geben. Elf. Die Schnapszahl. Es wird wieder heiter werden. Stefan Hochgesand