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Die Utopie vom guten Flirten

Sexismus Die Grenzen des Gegenüber akzeptieren, einvernehmlich flirten – dafür gibt es noch keine Anleitung. Der Workshop von „queer_topia*“ ist aber ein guter Anfang

Will eine Person, aber die andere nicht, sollten Manipulationsversuche eingestellt werden. Foto: brauchichnpulli

von Peter Weissenburger

Flirten ist stressig. Manche sind vielleicht geborene Erobererinnen, Honigschmierer oder Silberzungen. Aber für die meisten ist der erste Schritt zur Kontaktaufnahme einer, der barfuß über glühende Kohlen führt. Damit nicht genug, kann bei der Annäherung verdammt viel schieflaufen. Denn beim Flirten besteht immer die Gefahr, Grenzen zu überschreiten. Das kennen Frauen und Transmenschen besonders: Auf der Party nähert sich einer, strotzt vor angetrunkenem Selbstbewusstsein und lässt sich nicht abwimmeln. „Hey Praline, brauchste ne Füllung?“, ist dabei noch nicht die Endstation der Grausligkeiten.

Klar, so ein peinlicher Anmacher will niemand sein. Aber wie geht das überhaupt, flirten, ohne übergriffig zu werden, ohne körperliche oder persönliche Grenzen zu überschreiten? Woher weiß ich, wann ich mich zurückziehen sollte? In der Schule lernt man das jedenfalls nicht. Die Angeflirteten auf der anderen Seite wissen nicht immer, wie sie sich schützen können. Was tun, wenn „Nein, danke!“-Sagen nichts bringt? Wenn der Andere gar nicht erst fragt? Will ich überhaupt „erobert“ werden?

Für alle, die respektvoll flirten wollen, sich an das Zustimmungsprinzip halten, gibt es vom Bildungskollektiv „queer_topia*“ am kommenden Samstag einen Workshop im faq-Infoladen in Neukölln – sozusagen ein antisexistischer Flirtkurs. Alle Geschlechter sind willkommen.

Allerdings ist die Gebrauchsanweisung für das richtige Flirtverhalten noch nicht geschrieben. Deswegen steckt in dem Namen „queer_topia*“ auch die „Utopie“, die scheinbar unerreichbare bessere Welt. „queer_topia*“ wurde vor einem Jahr von linken queeren AktivistInnen gegründet. Ihr Anspruch ist es, Gegenentwürfe zu sexistischen und heteronormativen Mustern zu erproben – durch learning by doing.

Jonny* ist Teil des Kollektivs dabei und hat auch den Flirtworkshop mitkonzipiert. „Durch Geschichten von FreundInnen und Freunden ist uns aufgefallen: Flirten ist negativ besetzt, wird mit Grenzüberschreitungen und dummen Anmachen in Verbindung gebracht.“ Personen, die häufig diskriminiert würden, verlören den Spaß am Anbandeln. Manche verließen sogar Partys – auch linke Partys – vorzeitig aus Angst vor der dummen Anmache. „Wir wollten wissen, warum das so ist, und wie sich das ändern lässt.“

Flirtkultur ist geprägt durch patriarchale Vorstellungen. Der Mann sucht aus, die Frau fühlt sich gebauchpinselt. Das sitzt tief und lässt sich schwer abschütteln. Alles, was davon abweicht – alles „Queere“ – muss erst ausprobiert werden. Es gibt noch kein Skript dafür. Das wollen Jonny* und „queer_topia*“ ändern. Und zwar experimentell, mit Blick auf die Bedürfnisse, die die Flirtinteressierten mitbringen.

Zu Beginn des Workshops, so viel kann Jonny* schon verraten, wird es ein Aufwärmen mit schlimmen Anmachsprüchen geben.

Alle Teilnehmenden können dabei so richtig tief graben und all die miesen Verfehlungen herausholen, die sie schon gehört, oder sogar selbst verwendet haben. Dann wird geübt, auf die schlechte Anmache zu reagieren – mit einem lauten „Nein“.

Samstag, 30. Januar13–18 Uhr, Infoladen f.a.q., Jonasstraße 40. Anmeldung an: queertopia@riseup.netTeilnahmebeitrag: 5 bis 10 Euro Spende, je nach Möglichkeit

Das klingt simpel, ist aber grundlegend. Denn viele denken, sie müssten auf dumme Anmache eine schlagfertige Antwort geben. Damit ist man jedoch schon ins Gespräch eingestiegen und wird den Anmacher oder die Anmacherin umso schwerer wieder los.

Danach geht es im „Partyflirt“-Workshop vor allem um Konsens. Was das ist, und wie man dafür sorgt, soll zusammen definiert werden. Dass beim Flirten beide einverstanden sein müssen, klingt zunächst logisch. Aber es widerspricht der Idee von der „Eroberung“, die eng mit dem Flirt verknüpft ist. „Erobern“ heißt – streng genommen – sich nehmen, was man will, zur Not auch gegen Widerstand. Mit Antisexismus hat das nichts zu tun.

Jonny* findet hingegen nicht, dass „erobern“ unbedingt sein muss, damit Flirten Spaß macht. Im Gegenteil: Nach klar kommuniziertem Konsens sei man viel entspannter. Trotzdem: „Ganz lässt sich der Sexismus nie beseitigen. Es ist aber wichtig, darüber zu reden, wie es sein sollte.“ Ganz im Sinne der Utopie also.

Aber ist das nicht zu verkopft? Wird der Partyflirt nicht zu einer krampfigen Angelegenheit, wenn alle nur noch darauf aufpassen, dass sie nichts falsch machen? „Das Problem ist ja im Gegenteil, dass zu wenig aufgepasst wird. Klar, am Anfang kann es komisch sein, sich selbst zu beobachten. Aber irgendwann, das ist unser Ziel, normalisiert sich dann das neue, respektvollere Verhalten.“ Na dann, viel Spaß beim Basteln an der queeren Utopie – und natürlich beimFlirt auf der nächsten Party.