Italien muss intelligenter werden

GROSSE GESTE Aber Zweifel an der Nachhaltigkeit: Aus Protest gegen die rassistischen Ausfälle der Fans verlassen die Profis des AC Mailand das Feld

Jeden Tag werden im italienischen Fußball Spieler von gegnerischen Fans rassistisch beleidigt

VON TOM MUSTROPH

Als ein „markantes Zeichen gegen den Rassismus“ feierten die italienische Medien den geschlossenen Protest der Profis des AC Mailand. Sie hatten während eines Freundschaftsspiels beim norditalienischen Viertligisten Pro Patria einmütig das Feld verlassen, nachdem einige Zuschauer rassistische Buhrufe gegen die dunkelhäutigen Gästespieler ausgestoßen hatten.

Besonders der gebürtige Berliner Kevin-Pince Boateng war Ziel der Attacken. Sobald Boateng, Niang, Muntari oder Emanuelsson den Ball berührten, ertönten Pfiffe und Buhrufe aus einer Gruppe von ungefähr einem Dutzend Personen, die in einer der beiden Kurven versammelt waren.

Als diese Gruppe dann auch noch Boatengs aktuelle Freundin, das Modell Melissa Satta, mit Schmähungen bedachte, verlor das Weddinger Muskelpaket endgültig die Geduld. Er drosch den Ball in die Kurve der Beleidiger und verließ das Feld. Seine Mannschaftskameraden folgten ihm. Die Reaktionen waren weitgehend positiv.

Trainer Massimiliano Allegri unterstützte seine Spieler. „Das war die richtige Entscheidung. Diese unzivilisierten Gesten müssen aufhören. Italien muss intelligenter werden“, meinte der Coach in einer eilig einberufenen Pressekonferenz. Verbandspräsident Giancarlo Abete sowie auch sein Kollege vom Verband der unterklassigen Mannschaften der Lega Pro, dem Pro Patria angehört, begrüßten den Protest ausdrücklich.

Damiano Tommasi, Präsident der Spielergewerkschaft, erhofft sich davon „einen schweren Schlag, um den Rassismus endgültig aus den Stadien zu verbannen“. Doch diese Hoffnung scheint trügerisch. Das wurde zunächst am Verhalten des Schiedsrichterkollektivs deutlich. Obwohl das Reglement den Referees ermöglicht, bei rassistischen oder antisemitischen Äußerungen ein Spiel zu unterbrechen oder vorzeitig zu beenden, ignorierten die Unparteiischen komplett die Beleidigungen.

Dies darf man als professionelle Deformation werten. Jeden Tag werden im italienischen Fußball Spieler von gegnerischen Fans rassistisch beleidigt. Aufmerksamkeit erregt dies nur, wenn die Opfer Starstatus haben. Mario Balotelli wurde im Trikot von Inter Mailand bei fast jedem Auswärtsspiel ausgebuht. Gegnerische Klubs wie Juventus wurden auch zu Geldstrafen verurteilt. Geändert hat dies wenig. Balotelli verließ Italien in Richtung Premier League. Dort, bei Manchester City, hat er ebenfalls Probleme, diesmal aber nicht aus rassistischen Motiven.

Gigi Farioli, der Bürgermeister von Busto Arsizio, der Heimstatt von Pro Patria, ließ sich sogar zu Angriffen auf Milan verleiten. Er gab für den Vorfall zwar den „üblichen paar Idioten“ für Schuld. Gleichzeitig kritisierte er aber auch Boateng, den Ball „mit 200 Sachen auf die Zuschauer gedroschen“ zu haben. „Dafür wäre er in jedem anderen Stadion Italiens vom Platz gestellt worden“, meinte Farioli weiter. „Ich glaube nicht, dass er sich dies im Bernabeu oder San Siro geleistet hätte“, schloss er seine Polemik.

Damit dürfte er nicht unrecht haben. Der Berlusconi-Klub Milan hat sich für die Solidaritätsaktion ein Ereignis von geringem sportlichem Wert ausgesucht. Ein Signal ist es trotzdem. Denn Profis wie Schiedsrichter werden bei jedem neuen rassistischen Buhruf an der aktuellen Reaktion der Milan-Profis gemessen, auch in Punktspielen.

Die rassistischen Ultras sind mittlerweile identifiziert und in Haft genommen. Ihnen drohen dem Staatsanwalt von Busto Arsizio zufolge bis zu drei Jahren Haft. Auch Pro Patria will sich wandeln. Der Verein öffnet für die nächsten Spiele seine Ehrentribüne für dunkelhäutige Zuschauer. Bleibt nur zu hoffen, dass die sich dann auch als Gäste fühlen können und nicht zu einer Gladiatorenrolle für ein vermeintlich besseres Italien gezwungen werden.