Rasen reicht nicht

Mobilität Die Deutsche Bahn kämpft mit vielen Schwierigkeiten, vor allem im Fernverkehr. Der Deutschlandtakt könnte eine Alternative sein

Richard Rother

Foto: Thielker

46, ist taz-Redakteur im Ressort Wirtschaft + Umwelt, in dem er sich mit Verkehrsthemen beschäftigt. Im Alltag nutzt er regelmäßig Fahrrad, Bahn und Auto.

Die Bahn hat vier Feinde: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Dass in diesem Witz ein Fünkchen Wahrheit steckt, zeigt sich auch in diesem Winter. Eis und Schnee, alles andere als ungewöhnlich in Deutschland, führten bereits vielerorts zu Zugausfällen und Verspätungen. Krassestes Beispiel war bislang ein IC, der Anfang des Jahres für die Strecke von der Nordsee nach Köln mehr als 24 Stunden brauchte. Und am vergangenen Sonntag steckte ein ICE mit 550 Passagieren drei Stunden nahe Mannheim fest, weil ein Stromabnehmer defekt war.

Die bundeseigene Deutsche Bahn kämpft derzeit mit massiven Problemen, vor allem wirtschaftlichen. Zwar will die Bahn nun langsam gegensteuern – aber es dürfte lange dauern, bis sich Erfolge einstellen. Außerdem fehlt ein visionäres Konzept, wie es im Bereich des Fernverkehrs der Deutschlandtakt, der Anschlüsse garantiert, sein könnte.

Hauptproblem Fernverkehr

Das vergangene Jahr war für die Bahn kein gutes. Zwar konnte sie in Großbritannien Ausschreibungen für umfangreiche Verkehrsleistungen gewinnen, aber im Güterverkehr musste sie, auch auf Grund der schwächelnden Weltkonjunktur, Einbußen hinnehmen; hier stehen 2.600 Stellen zur Disposition. Schwierig war auch das Regionalverkehrsgeschäft in Deutschland, wo die Bahn zum Fahrplanwechsel im Dezember auf Prestigestrecken in Nordrhein-Westfalen der Konkurrenz den Vortritt lassen musste.

Am meisten machte der Bahn der Fernverkehr zu schaffen: Er litt unter den gesunkenen Benzinpreisen, die für viele Kunden das Autofahren wieder attraktiver machten. Vor allem aber beeinträchtigt der boomende Fernbusverkehr das Kerngeschäft der Bahn, durchaus zur Freude der Kunden. Denn die Busunternehmen jagen mit ihren günstigen Preisen der Bahn nicht nur Kunden ab, sondern sie erschweren es ihr auch, die Preise anzuheben. So verzichtete die Bahn zum Fahrplanwechsel im Dezember erneut darauf, Ticketpreise im Fernverkehr zu erhöhen. Gleichzeitig lockt sie, auch auf Internetportalen der Fernbuskonkurrenz, preissensible Kunden mit Sonderangeboten in die Züge. Das ist verständlich, denn die Bahn muss die Kundschaft dort abholen, wo sie ist.

Auch die Ausweitung des bahneigenen Fernbusangebots fällt in diese Kategorie. Aber der große Wurf ist das nicht. Den will die Bahn langfristig angehen: durch Verbesserungen bei Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit, bei Komfort und Sicherheit. Zudem soll massiv in Infrastruktur und neue Züge investiert werden. Eigentlich sind das Selbstverständlichkeiten – aber angesichts der jüngeren Geschichte der Bahn ist es durchaus ehrenwert, dass DB-Chef Rüdiger Grube auf die Stärkung des „Brot-und-Butter-Geschäfts in Deutschland“ drängt. Zur Erinnerung: Sein Vorgänger, Hartmut Mehdorn, hatte der Bahn ein beispielloses Spardiktat aufgezwungen, um das bundeseigene Unternehmen an der Börse zu verkaufen.

Nur der internationalen Finanzkrise ist es zu verdanken, dass der Privatisierungswahnsinn gestoppt wurde – die Einnahmen an der Börse wären zu gering gewesen. Unter den Folgen des Sparkurses leidet die Bahn noch heute; es fehlen beispielsweise Reservezüge, Werkstätten und Personal. Im Fernverkehr will die Bahn nun gegensteuern. Die allermeisten Großstädte sollen wieder an den Schnellzugverkehr angeschlossen werden; dafür wurde auch ein großangelegtes Programm zur Beschaffung neuer IC-Züge auf Doppelstockbasis aufgelegt. Aber die Umsetzung des neuen Konzepts ist auf zwei Jahrzehnte angelegt. Fraglich ist also, ob es rechtzeitig wirken kann, um den aktuellen Fahrgastschwund zu stoppen.

In knapp zwei Jahren steht ein Bahn-Großereignis ins Haus: die Einweihung der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Berlin und München, die die Fahrzeit auf unter vier Stunden drückt. Damit rast die Bahn nicht nur dem Fernbus davon, sondern bereitet auch dem innerdeutschen Flugverkehr erfreulicherweise Konkurrenz. Auch wenn es vermutlich die letzte große neue Hochgeschwindigkeitsstrecke in Deutschland ist – zunächst manifestiert die Bahn damit die Tendenz zur Raserei. Die meisten Von-Großstadt-zu-Großstadt-Reisenden mögen die Schnellfahrerei zwar, und manche pendeln gar täglich große Strecken wie etwa Berlin–Wolfsburg oder Fulda–Frankfurt – aber die teure Raserei hat in der Vergangenheit immer wieder heftige Kritik hervorgerufen. Denn viele Menschen fahren nicht nur von Hauptbahnhof zu Hauptbahnhof; ihnen sind günstige und verlässliche Anschlüsse wichtiger. Letztlich zählt die gesamte Reisekette von Tür zu Tür.

Landesweiter Taktfahrplan

Statt viel Geld für ICE-Rennstrecken auszugeben, könnten Bahnknoten ausgebaut werden

Statt viel Geld für ICE-Rennstrecken auszugeben, könnten Bahnknoten ausgebaut werden, um mehr Kapazitäten für bessere Umsteigemöglichkeiten zu schaffen. Wie es gehen könnte, macht die Schweiz seit Jahren vor. Sie hat einen landesweiten Taktfahrplan; das bedeutet, dass auf wichtigen Verbindungen die Fernzüge alle 30 oder 60 Minuten fahren und auf Umsteigestationen aufeinander warten, wodurch ein verlässliches Wechseln ermöglicht wird. Weil dafür größere Wartezeitpuffer nötig sind, verlangsamt dieses System die reine Von-Stadt-zu-Stadt-Verbindung, wenn dazwischen ein Umsteigebahnhof liegt.

Für Fahrgäste, die umsteigen müssen, verbessert sich aber die Zuverlässigkeit. Ein solcher Deutschlandtakt ist hierzulande nicht ohne Weiteres einführbar; die Bundesrepublik ist viel größer und in viele regionale Zentren strukturiert. Umso bemerkenswerter ist, dass nun ein Umdenken in Richtung Deutschlandtakt eingesetzt hat.

Das Bundesverkehrsministerium hat mittlerweile eine Machbarkeitsstudie des Iges-Verkehrsinstituts zum Deutschlandtakt veröffentlicht. Dieser sei technisch-betrieblich machbar und bringe insgesamt positive Effekte bei den Reisezeiten, heißt es darin, vor allem, wenn auch die Verknüpfungen von Fern- und Nahverkehr optimiert würden. Die Folge wäre: Die Bahn wird attraktiver, und mehr Menschen steigen in die Züge. Wer diese tatsächliche Vision verwirklichen will, muss jetzt die Weichen richtig stellen, etwa im Baubereich. Dann könnte, erwarten Experten, im Jahr 2030 ein erster Fahrplan im Deutschlandtakt umgesetzt werden. Bahn und Bundespolitik sind nun gefordert. Richard Rother