Zu Gast beim taz.lab Daniel Cohn-Bendit fordert EU-Kommissar und Minister für Einwanderung, Asyl und Integration
: Jetzt muss Schluss sein mit dem ewigen Abwiegeln

Von Peter Unfried

Zwar ist der Grieche Dimi­tris ­Avramopoulos in de­r Kommission Juncker für Mi­gra­tion, Inneres und Bürgerschaft zuständig und läuft unter „Flüchtlingskommissar“, doch sei er „hilflos“ angesichts der bestehenden und nicht funktionierenden Strukturen. „Es braucht eine neue europäische Direktive zu Einwanderung, Asyl und Migration, die die Arbeit des Kommissars auf eine andere Grundlage stellt“, sagte Cohn-Bendit der taz.

Die globale Flüchtlingsdynamik und -integration könne nur als gemeinsames EU-Projekt gemeistert werden und nur in durchgängig funktionierenden Strukturen: EU, Bund, Länder. Daher brauche es auch ein eigenes Bundesministerium und ein Einwanderungsgesetz. „Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Vertriebenen integriert werden mussten, gab es ein Vertriebenenministerium. Nun braucht es ein Ministerium für Einwanderung, Asyl und Integration“, sagt Cohn-Bendit. Das Ministerium müsse unverzüglich installiert werden, so wie entsprechende Ministerien in allen Bundesländern. „Nur so ist Deutschland fähig, als Einwanderungsland politisch zu handeln.“

Cohn-Bendit, 70, wird am 2. April Gast beim tazlab sein. Er dürfte der bekannteste Europapolitiker des Kontinents sein, lebt und arbeitet in zwei Kulturen, der französischen und der deutschen; er gehört zu den profiliertesten Befürwortern des europäischen Projekts jenseits von Nationalstaaten. 1989 hatte er in Frankfurt am Main nach einem rot-grünen Wahlsieg das erste Amt für multikulturelle Angelegenheiten (AMKA) gegen SPD und Teile der Grünen durchgesetzt. Er war dann bis 1997 dessen erster Leiter.

„Es braucht auch ein eigenes Bundesministerium und ein Einwanderungsgesetz“

Daniel Cohn-Bendit

„Ich komme mir im Moment vor wie damals in Frankfurt“, sagt er. „Immer das gleiche Abwiegeln, die Frage: Was soll das? Und die ewige Rede, das könne man doch auch in den etablierten Strukturen machen.“ Könne man nicht, das zeige ja die Si­tuation.

Das Innenministerium sei für diese Aufgabe nicht geeignet, weil es der Logik der Abwehr von Gefahren verpflichtet sei. Man brauche einen auf gelingende Einwanderung konzentrierten Ansatz und vor allem auch einen eigenen Haushalt, eine Struktur, eine politische Pyramide. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wird in seinem Konzept dem neuen Ministerium untergeordnet; Finanzminister Schäuble stellt dem neuen Einwanderungsminister die zwölf Milliarden Euro zu Verfügung, die er gerade als Überschuss gefunden hat. „Damit kann man es organisieren, dass wir es ­schaffen‘“.

Mit dem Einwanderungsministerium will Cohn-Bendit jenseits der Fragen von Obergrenzen, Abschiebungen und der auf offene vs. geschlossene Grenzen fixierten Gesamtdiskussion das Problem der Integration jener angehen, die bereits im Land sind. Der entscheidende Faktor sei jetzt die Zeit. Das aufwendige Filtern von jenen, die bleiben können, bessere im Moment die Lage nicht. „Man muss alle ­anerkennen, die da sind. Wenn man jetzt auf null stellt, kann man die ganze Sache richtig angehen.“

Daniel Cohn-Bendit macht nicht halt vor roten Ampeln: Er kommt zum taz.lab Foto: Gilles Rolle/REA/laif

Es gehe darum, sich der Einwanderung mit politischer und administrativer Struktur zu stellen. Das ist seine Lehre aus den Frankfurter Jahren. Die CDU habe damals jedes Jahr versucht, sein Amt abzuschaffen. Als dann aber ihre Kandidatin Petra Roth Bürgermeisterin wurde, wurde es nicht abgeschafft. Cohn-Bendit folgert nun: „Wenn es das einmal gibt, dann bleibt es auch, weil alle sehen, dass es etwas bringt. Das macht dann auch die CSU.“

Es gibt bisher keine Anzeichen dafür, dass Kanzlerin Merkel ihr Kabinett umbilden und gar erweitern könnte. Warum sollte sie? „Weil es sonst nicht klappt“, sagt Cohn-Bendit. „Wir schaffen es nur, wenn sie im Kabinett radikal umsteuert.“ Damit würde in der Konsequenz auch Merkel gestützt. Es sei eine Ironie der Geschichte, dass ihre größten Unterstützer im Jahr 2016 Leute wie Joschka Fischer und er seien – aber der Komplexität der Gegenwart durchaus angemessen.