"Die Abwanderung an den Stadtrand geht weiter"

WACHSTUM Die Stadtsoziologin Talja Blokland über die neue Bevölkerungsprognose und die Auswirkungen auf die Attraktivität Berlins

Talja Blokland

geboren 1971, ist Professorin für Stadt- und Regionalsoziologie an der Humboldt-Universität. Sie beschäftigt sich unter anderem mit städtischer Ungleichheit.

taz: Frau Blokland, auf der Senatsklausur wurde am Mittwoch eine Bevölkerungspro­gnose vorgelegt, wonach Berlin bis 2030 fast die 4-Millionen-Einwohner-Marke reißen wird. Hat Sie das überrascht?

Talja Blokland: Nein. Dass Berlin populär ist, ist nichts Neues. Berlin wird auch in Zukunft weiterwachsen.

Warum?

Berlin ist wegen seiner Heterogenität attraktiv. Einmal natürlich für die zunehmende Zahl von Flüchtlingen. Für sie bietet Berlin eine Infrastruktur für alltägliche Bedürfnisse. Und es ist eine Stadt, in der man vielleicht schon Leute kennt, die schon vorher gekommen sind. Und dann sind da die jungen Leute in Europa, auf die Berlin nach wie vor eine hohe Anziehungskraft ausübt. Das hat weniger mit dem Arbeitsmarkt zu tun. Hier ist Berlin nicht unbedingt the place to be. Aber subkulturell hat die Stadt viel zu bieten. Das zieht die David Bowies der Zukunft an. Dazu kommen noch die ökonomischen Krisen in Ländern wie Griechenland und Italien.

Was heißt das für die Stadtentwicklungspolitik?

Der Druck auf den Wohnungsmarkt nimmt zu. Die Mieten werden steigen. Die jungen Leute, die nach Berlin ziehen, können das bewältigen, wenn sie sich zusammentun und in eine WG ziehen. Für Menschen mit weniger Einkommen und Familien mit Kindern wird es schwierig. Die Abwanderung an den Stadtrand wird weitergehen.

Wie wird sich der Wohnungsmarkt entwickeln?

Das lässt sich pauschal nicht sagen. Es ist abhängig davon, wie viele Leute sich trennen, wie viele junge Leute das Elternhaus verlassen: all das prägt die Nachfrage nach Wohnungen.

Kann eine Stadt auch so attraktiv sein, dass sie am Ende als Verliererin dasteht?

Ja, das sehen wir an Beispielen wie London und Barcelona. Da wird alles Kreative, was ökonomisch nicht erfolgreich ist, an den Rand gedrängt.