Die WORTKUNDE
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Das Wort war bislang eine Chiffre für Auschwitz. Wissenschaftler wie Jürgen Habermas und Dan Diner haben den Begriff ZIVILISATIONSBRUCH geprägt, um damit den Völkermord an den Juden in der NS-Zeit zu bezeichnen. Justizminister Heiko Maas hat das Wort nun in den Zusammenhang mit den vielfachen Übergriffen auf Frauen an Silvester in Köln gerückt und von einem „zeitweiligen Zivilisationsbruch einer enthemmten Horde“ gesprochen.

Aber gab es am Kölner Hauptbahnhof einen Holocaust? Wohl eher nicht, und so hat Maas es ja auch sicher nicht gemeint. Aber wie dann?

Das Wort eröffnet einen breiten Assoziationsraum, der sich aus dem Gegensatz von Zivilisation und Barbarei speist. An das Angstbild einer barbarischen Invasion knüpft auch der AfD-Rechtsaußen Björn Höcke an, wenn er die Vorfälle der Kölner Silvesternacht als „Zivilsationsverfall“ anprangert. Dass sich auch der ansonsten eher bedächtige SPD-Minister Maas an diesem rhetorischen Überbietungswettbewerb beteiligt und ihm die Krone aufsetzt, zeigt, wie hysterisch und rassistisch die Debatte geführt wird.

Dabei ist schon die Rede von einer „neuen Dimension der Gewalt“ fragwürdig. Man redet die Exzesse ja nicht klein, wenn man daran erinnert, dass es in Köln keine Todesopfer gab. Neu war dort nicht die Form der Gewalt, sondern das Ausmaß der Diebstähle und der sexuellen Übergriffe und die Tatsache, dass die Polizei der Menge so lange und so machtlos gegenüberstand, ja, dass sie zeitweise vor ihr kapituliert hat.

Die Rede vom „Zivilisationsbruch“ führt da auf eine falsche Fährte. Sie lenkt davon ab, dass in Köln an Silvester nicht Barbaren über die Zivilisation hergefallen sind, sondern Kleinkriminelle über Stunden freie Hand hatten, im wahrsten Sinne des Wortes, und der Staat versagt hat, hier für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen. Das ist der Skandal, für den es ein anderes starkes Wort gibt, das hier zutreffender wäre: Staatsver­sagen. Daniel Bax