„Die autonome Szene in Berlin hat ihre besten Zeiten längst hinter sich, neidisch schaut man auf Hamburg oder Leipzig“

Das bleibt von der Woche Die Bäder Betriebe wollen mit mehrsprachigen Plakaten und Flyern Flüchtlingen die Baderegeln erklären, der Tod einer jungen Frau, die vor eine U-Bahn gestoßen wurde, schockiert die Stadt, die Humboldt-Universität hat einen neue Präsidentin, und das Hausprojekt Rigaer Straße 94 bekommt wiederholt Polizeibesuch

Bewährte Methode aus Bayern

Bade-Infos für Flüchtlinge

Nur die grafische Darstellung ist kein Meisterwerk. Das kann Berlin besser

Für alle, die es nicht mitbekommen haben: Die nordrhein-westfälische Stadt Bornheim hat das Schwimmbadverbot für männliche Flüchtlinge aufgehoben. Die Maßnahme war zuvor damit begründet worden, dass Flüchtlinge weibliche Badegäste mit anzüglichen Gesten und Sprüchen belästigt hatten. Menschenrechtsgruppen hatten die Aktion als völlig überzogenen bezeichnet. Statt die wahren Störer zu bestrafen, werde eine ganze Gruppe in Sippenhaft genommen. Was hat das nun alles mit Berlin zu tun – zumal sich die hiesigen Bäder Betriebe dieser Kritik angeschlossen hatten?

In der Hauptstadt trägt man sich mit dem Gedanken, mehrsprachige Plakate und Flyer mit Baderegeln anfertigen zu lassen. Garniert werden soll das Ganze mit bunten Bildchen in Comicform, damit auch Analphabeten verstehen, worum es geht: Dass Duschen vor dem Schwimmen Pflicht ist. Dass tiefes Wasser für Nichtschwimmer gefährlich ist. Dass Schwimmen in Unterwäsche nicht erlaubt ist, sondern nur in Badehose, Bikini, Badeanzug oder Schwimmburka.

München praktiziert die bildhafte Form der Informationspolitik in seinen Bäder schon seit mehreren Jahren. Die digitalen Daten für die Comics und die Texte in fünf Sprachen haben die Bayern Berlin jetzt zur Verfügung gestellt, wir haben sie Dienstag in der taz veröffentlicht. Auf einem der Bildchen ist eine ausgestreckte Hand zu sehen, die von einem Verbotsschild umrahmt ist; neben der Hand ist ein Frauenpo in Bikini­hose abgebildet. Brauchen wir das wirklich in unseren Bäder? Ist das nicht eine Selbstverständlichkeit, dass man Frauen nicht belästigt, egal was sie anhaben?

Aus Bayern ist zu hören, die Methode habe sich bewährt. Die Flyer werden an der Kasse beim Verkauf der Tickets mit ausgeben und auch in den Asylunterkünften von Mitarbeitern der Bäder verteilt. Die Flüchtlinge reagierten dankbar, heißt es. Nicht alles, was die Bayern machen, ist schlecht. Integrationspolitik kann so praktisch und einfach sein, wenn man die Dinge nicht immer so kopfig zerredet.

Zugegeben: Die grafische Darstellung ist kein Meisterwerk. Das kann Berlin besser. Wie man hört, ist da schon etwas in Arbeit. Lassen wir uns überraschen. Plutonia Plarre

Herzlich willkommen in Hysteria

Debatte ÜBER U-Bahn-Täter

Wo überall die "Lügenpresse"-Keule geschwungen wird: auch das schockiert

Bahnsteig U2, Ernst-Reuter-Platz, Dienstagabend: Eine junge Frau wartet auf die Bahn. Plötzlich löst sich ein Mann aus der Menge der Wartenden, stößt sie vor die einfahrende Bahn. Das Motiv des Mannes? Bisher unklar. Ein ärztliches Gutachten spricht laut Staatsanwaltschaft von „erheblich geminderter bis aufgehobener“ Schuldfähigkeit. Eine gruselige Tat – die auch deshalb Angst macht, weil sie so sinnlos ist. Ein Typ flippt aus, man steht zur falschen Zeit am falschen Ort. Brutaler, ungerechter Zufall. Das Risiko, das Leben mit sich bringt: Man kann völlig sinnlos sterben.

Nun könnte man einen Punkt machen und den Fall dorthin legen, wo er hingehört: in die Archive der knapp gehaltenen Polizeimeldungen. Stattdessen, am Mittwochmorgen auf Twitter: „Bin journalistisch sehr enttäuscht, dass Sie sich an der Schweigespirale zum U-Bahn-Täter beteiligen. Keine Lehren aus Köln?“, schrieb jemand in Replik auf eine Meldung in der Berliner Zeitung. Die hatte zunächst nicht darauf hingewiesen, dass der 28-jährige Täter, gebürtig aus Hamburg, iranischer Staatsbürger ist.

Am Donnerstagmorgen erklärte die Nachrichtenagentur dpa in einem „redaktionellen Hinweis“, warum sie den iranischen Pass im offiziellen Nachrichtentext verschweigt: „In Übereinstimmung mit dem Pressekodex nennt dpa die Nationalität nicht, wenn sie in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Tat steht bzw. nicht zu deren Verständnis notwendig ist.“ Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

Nur so viel: Dass die Agentur sich überhaupt meint, erklären zu müssen, ist ein Novum. Und es spiegelt die Unsicherheit der Medien in der Köln-Debatte wider. Dort hatte es in der Silvesternacht sexuelle Übergriffe auf Frauen gegeben, unter anderem waren auch Flüchtlinge beteiligt. Was darf man sagen, ohne als Rassist zu gelten? Und vor allem, worüber darf man schweigen? Die Folge dieser Sprachlosigkeit: Inzwischen wird, auch abseits von Pegida-Kundgebungen, mehr oder weniger unverhohlen die „Lügenpresse“-Keule geschwungen, wenn es sich nur irgend anbietet. Auch das sollte an der U-Bahn-Tat schockieren. Anna Klöpper

Mit Kunst mehr Wettbewerb

Humboldt-Universität

Bittere Erkenntnis für den Bildungsstandort Berlin: Kunst war nicht die erste Wahl

Nein, Sabine Kunst wird nicht die erste Präsidentin der Humboldt-Universität (HU). Vor ihr hatte schon eine weitere Frau das Amt inne – und 122 Männer. Die Statistik spricht für sich – und für die breite Unterstützung, die Kunst nach der Wahl durch das HU-Konzil am Dienstag erfuhr. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) bezeichnete sie als „richtige Frau zur richtigen Zeit“. Dem könnte man unbedingt beipflichten, gäbe es nicht zwei klitzekleine Details.

Erstens – und das ist eine bittere Erkenntnis für den Bildungsstandort Berlin – war Kunst nicht die erste Wahl. Im November hat der bereits gewählte (männliche) Wunschkandidat abgesagt. Die Verwaltungs- und Finanzaufgaben hätten nicht zu ihm gepasst. Jetzt so zu tun, als sei die brandenburgische Wissenschaftsministerin für die HU die Traumkandidatin, ist fast schon Hohn. Eine ähnliche, wenngleich bittere Pille musste die Rektorin der Uni Leipzig vergangenes Jahr schlucken. Der Hochschulrat versagte ihr die Nominierung und damit die Wiederwahl. Die beiden Beispiele zeigen, wie sehr die Hochschulwelt immer noch von Männern regiert wird.

Der zweite Punkt ist aber das eigentliche Armutszeugnis. Wenn die designierte HU-Präsidentin im Sommer das Amt antritt, ist sie die einzige Frau in einem exklusiven Kreis: den deutschen Elite-Unis.

Politik und Wissenschaft haben sich zuletzt 2012 auf elf Standorte, darunter auch die HU, geeinigt, die durch zusätzliche Gelder deutsche Spitzenforschung im Ausland wettbewerbsfähiger machen soll. Kriterien für Wettbewerbsfähigkeit sind: Anzahl der Studierenden, Absolventen und Promovenden, die Drittmitteleinnahmen aus Wirtschaft und öffentlichen Töpfen sowie der Anteil von ausländischen und weiblichen Professoren.

Und so ist es um die Spitzenforschung bestellt: An der HU sind die Professorinnen stark in der Unterzahl. Sie machen nicht mal ein Drittel der 419 HochschullehrerInnen aus. Bildung durch Wissenschaft, für dieses Ziel wird die HU bis 2017 mit Millionen gefördert. Ob sie auch danach Elite-Uni sein wird, entscheidet sich möglicherweise noch im Januar. Dann stellt eine Expertenkommission ihr Urteil über die Exzellenz-Initiative vor.

Man kann Frau Kunst nur wünschen, die richtige Frau zur richtigen Zeit zu sein. Die sich nicht verleiten lässt, drittmittelschwache Studiengänge aus Wettbewerbsgründen auszumustern. Die Geflüchteten mit Studienwunsch mehr anbietet als eine Gasthörerschaft. Die ihre Studierenden ernst nimmt und endlich eine zentrale Antidiskriminierungsstelle einrichtet. Die gibt es an der Exzellenz-Uni bislang nicht. Ralf Pauli

Die Polizei schafft einen Mythos

Rigaer Straße

Bedeutung und Gefahrenpotenzial der Rigaer sind maßlos übertrieben

OppositionspolitikerInnen fahren schweres Geschütz auf. Die Grüne Jugend lobt das „antifaschistische Engagement der Hausbesetzerszene“. NachbarInnen bringen Unmengen veganer Torten vorbei. Und der Blogger John F. Nebel fasst zusammen, was offenbar viele denken: „Ich muss kein Freund der Rigaer Straße sein, um Grundrechtsverletzungen scheiße zu finden“, lautet die Überschrift seines Artikels auf metronaut.de, der tausendfach geteilt wurde.

Die Polizeieinsätze der letzten Tage haben bisher vor allem einen Effekt: Die BewohnerInnen der Rigaer Straße 94 bekommen von allen Seiten Beistand – auch von denjenigen, die mit der autonomen Szene bisher keine besonders enge Freundschaft verband. Das ist bemerkenswert, weil die Rigaer Straße damit etwas schafft, was ihr schon lange nicht mehr gelungen ist: politische Relevanz zu entfalten über den allerengsten Szenekreis hinaus, für mehr zu stehen als nur die immer gleichen, sich selbst feiernden Rituale.

Denn die politische Bedeutung und auch das Gefahrenpotenzial, das die Allianz aus Innenpolitikern der Koalition, Polizei und bürgerlicher Hauptstadtpresse der Rigaer Straße zuschreibt, sind maßlos übertrieben. Die autonome Szene in Berlin hat ihre besten Zeiten längst hinter sich, neidisch schaut man auf Hamburg oder Leipzig, wo das Randalepotenzial noch deutlich höher ist. Und jenseits von „entglasten“ Streifenwagen oder brennenden Müll­tonnen geht erst recht nicht mehr viel: Es sind nicht die Autonomen aus Friedrichshain, die sich beim Protest gegen Bärgida, gegen ­Nazis in Marzahn oder für eine andere Asylpolitik besonders hervortun, so viel ist sicher.

Das ist auch nicht verwunderlich. Denn wer vor allem unter sich bleiben will, wird wenig verändern. Wenn sich das in diesen Tagen ändert, kann die linke Szene in Berlin davon nur profitieren. Zu der schon lange für den 6. Februar geplanten „Demonstration durchs Gefahrengebiet“ etwa, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine weitere autonome Folkloreveranstaltung inklusive der ein oder anderen Folklore­sachbeschädigung und anschließender Folklore­be­richt­erstattung gewesen wäre, rufen jetzt auch Gruppen jenseits des Friedrichshainer Nordkiezes auf.

Die Rigaer Straße als Symbol für den Kampf um eine lebenswerte Stadt – vielleicht wird es Zeit für einen Dankesbrief an Frank Henkel, der mit einer bemerkenswert dämlichen Strategie den Autonomen zu längst vergangener Bedeutung verhilft. Malene Gürgen