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Unprätentiöse Versuchsanordnung

FUTUR Schöne Häuser werden für schöne Frauen gebaut: Esther Schipper zeigt Christopher Roths Einzelausstellung „Blow Out“, auch eine Hommage an Veruschka und utopische Architektur

Filmstill aus „Blow Out“ von Christopher Roth Foto: Abb.: Christopher Roth (Galerie Esther Schipper)

von Brigitte Werneburg

Achtsam setzt die junge Frau ihre Füße, die in hochhackigen Holzsandaletten stecken, auf jede einzelne der roh aus Stein geschlagenen Treppenstufen. Es ist spektakulär, wie sie die Treppe hochsteigt mit ihren schönen Beinen. Dafür wurde die Treppe gebaut. Der Architekt hatte sie nicht vorgesehen. Aber der italienische Regisseur Michelangelo Antonioni wollte in seinem Haus die Schauspielerin Monica Vitti auf dieser Treppe sehen.

Schöne Häuser werden für schöne Frauen gebaut (wie Adolf Loos’ Haus für Josephine Baker). Und die gehen dann die Treppe empor. Das zeigt Christopher Roth in seinem Film „Blow Out“, der zentralen Arbeit seiner zweiten Einzelausstellung bei Esther Schipper. Sie steigen sie nicht herab wie Revue Girls. Das wäre zu billig. Bei Antonionis Haus, das Anfang der 1970er Jahre an der Costa Paradiso auf Sardinien entstand und in dem Monica Vitti nie die Treppe hochging, weil sie sich von Antonioni getrennt hatte, bevor es fertig war, handelt es sich freilich nicht nur um ein schönes, sondern um ein utopisches Haus. Die Binishell, wie die patentierte Betonkonstruktion des Stararchitekten Dante Bini heißt, ist letztlich nur ein Dach, eine über einen hausgroßen Gummiballon gegossene Betonschale, wobei der Ballon, nachdem der Beton ausgehärtet war, entfernt wurde und Fenster und Türen in die Kuppel geschnitten wurden.

Utopische Häuser werden für utopische Frauen gebaut. Aber was ist eine utopische Frau? Ve­ruschka, wie Vera Lehndorff hieß, als sie 1966 in Michelangelo Antonionis Filmklassiker „Blow Up“ ihren Auftritt als das berühmte Model hatte, das sie war? Ja, Ver(uschk)a, wie sie Christopher Roth als Koopera­tionspartnerin seiner Ausstellung „Blow Out featuring Ver(uschk)a“ aufführt.

Denn nach wie vor ist Vera Lehndorff das Model, das seinen Körper von Anfang an zum Kunstmaterial und damit zukunftsweisend gemacht hat. In der Galerie hängt der Satz „I am in Paris“ als Neoninstallation an der Wand. Mit ihrem roten Schriftzug und dem blauen Eiffelturm -„I“ auf der weißen Wand schrammt sie höchst subtil am Touristenkitsch vorbei.

Seit Jahrzehnten rottet Antonionis Binishell ungenutzt vor sich hin

Der Satz stammt von Ve­ruschka, die − in „Blow Up“ auf einer Party in London gezeigt − sich ihrer Sache absolut gewiss die Frage des Fotografen, er dachte sie sei in Paris, mit „Ich bin in Paris“ beantwortet. Als Skulptur an der Wand spricht dieser Satz aber gar nicht von der Vergangenheit, in der er gesagt wurde, sondern von unserer Gegenwart. Denn sind wir nicht alle in Paris? So wie wir Charlie sind? Dass der Blick in der Galerie von der Neoninstallation auf ein mit Brettern vernageltes Fenster fällt, bestärkt diese Assoziation. Dabei ist das vernagelte Fenster nur das exakte Zitat eines verrammelten Fensters in Antonionis Binishell, die seit Jahrzehnten ungenutzt vor sich hin rottet und zerfällt. „Blow Out“ (ein Fachterminus für das unkontrollierte Austreten von Gas) ist eine unprätentiös, aber effektiv inszenierte Versuchsanordnung zur Wahrnehmung von Zeit und Raum, im physikalischen Sinn genauso wie im historisch-politischen.

Die Frage, ob die Architektur, die Roth zitiert, indem er sämtliche Fenster in ihren originalen Umrissmaßen grasgrün an die Wände malt, in „Blow Out“ nur ein Modell ist und Vera Lehndorff im Schlangenbodysuit real − oder ob es umgekehrt ist, sie findet ihren aberwitzigen Widerhall in „annA+3“. Das ist ein Film von Roth und Lehndorff, der während der Ausstellung auf where-is-anna.xyz zu sehen ist und in dem sich Lehndorff als abgerockte Waldgängerin plötzlich wie „Alice im Wunderland“ zwischen einem riesigen Kaffeegeschirr wiederfindet.

Hier ist beides real: die Figur von Lehndorff und das Geschirr im Vergnügungspark Plänterwald, der genauso vor sich hin rottet wie die Antonionis Binishell. In Sardinien freilich ist sie nur als 3-D-Skulptur gegenwärtig, neben Monica Vitti, die in alten Interviewausschnitten und in ihrer Stellvertreterin auf der Treppe, Jeanne Tremsal, präsent ist. Dass die Neoninstallation übrigens nicht leuchtet, ist Teil der Versuchsanordnung, zu der auch ein halbfertiger Roman von Christopher Roth gehört, der in der Galerie ausliegt. Mit ihm untersucht er Quentin Meillassoux’ irritierendes Konzept der Extro-Science-Fiction, das auf der Annahme beruht, dass es Kausalität nicht gibt und die Naturgesetze kontingent sind. Konkret sagt der Roman, dass es im Jahr 2021 keine Elektrizität und keinen Strom mehr gibt. Womit das unbeleuchtete „Ich bin in Paris“ uns nur darauf aufmerksam macht, dass wir in einer Ausstellung aus dem Jahr 2021 sind, die aber − sofern Meillassoux’ Annahmen richtig sind − gleich morgen eröffnet.

Bis 27. Februar, Esther Schipper, Schöneberger Ufer 65, Di.–Sa. 11–18 Uhr

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