Keine Schonkost

TV Nadja Uhl kämpft wieder gegen Pädokriminelle („Operation Zucker. Jagdgesellschaft“, ARD, 20.15 Uhr; 21.45 Uhr: „Maischberger“ zum Thema Kindesmissbrauch)

Auf der Flucht vor der Elite Foto: Stephan Rabold/Wiedemann & Berg/BR

von Jens Müller

Dieses Projekt hat immerhin einen Ruf zu verlieren. Denn das war schon ein bemerkenswerter Vorgang, als fast genau vor zwei Jahren die ARD sehr kurzfristig entschied, dem Film sein bedrückendes Ende zu nehmen und „Operation Zucker“ zur Prime­time nur in einer verstümmelten Fassung zu zeigen. Das hatte vordergründig mit einer auch geplanten DVD-Verwertung zu tun, mit der deshalb aktiv gewordenen FSK und einer schlussendlichen Altersfreigabe durch deren Appellationsausschuss erst ab 16. In der Sache aber ging es um die merkwürdige Frage, warum denn jungen Menschen ein in Sachen Sex- und Gewaltdarstellung keineswegs allzu expliziter – und nicht zuletzt deshalb um so verstörenderer – Film nicht zugemutet werden können soll, nur weil er einmal kein Happy End vorgaukelt, sondern die Welt so verstörend vorführt, wie sie damals schon war. Nun ja.

In der Fortsetzung gibt wieder Nadja Uhl die Heldin. Im Übrigen ist der Personalwechsel, vor und hinter der Kamera, komplett, Regie führt Sherry Hormann, Exfrau von Dominik Graf. Für den hat das Autorenduo Friedrich Ani und Ina Jung 2011 „Das unsichtbare Mädchen“ geschrieben. Der Film über ein verschwundenes Mädchen beruhte auf einem realen Fall, und auch „Operation Zucker“ nahm und nimmt viel an Authentizität für sich in Anspruch.

Nun ist Friedrich Ani nicht irgendwer. Wenn ein Autor wie er in die „Operation Zucker“ mit ihrer speziellen Vorgeschichte einsteigt, dann bestimmt nicht, um sich den Schneid abkaufen zu lassen. Oder anders gesagt: Der Zuschauer kann alles erwarten, nur kein einlullendes Happy End.

Und was vorher kommt, ist auch keine Schonkost. Da werden zwei kleine blonde Mädchen in Sackleinen gesteckt und aneinandergebunden in den Wald geschickt, nur mit ein paar Metern Vorsprung vor der: Jagdgesellschaft. Vorausgegangen ist ein Gelage mit Hummer und Koks. Vor der Tür die aufgereihten Staatskarossen. Die Mitglieder des Kinderschänder-Clubs sind Verfassungsschützer, Staatssekretär, Innenminister. Ziemlich genau so muss sich ein Pegidist „die da oben“ nicht erst seit Edathy ausmalen.

Der neue Handlungsort scheint passend gewählt: Potsdam mit seiner spezifischen Mischung aus Stasi-Tradition („Juristische Hochschule Potsdam“) und neureichen Neubürgern. Zum Beispiel der Bauunternehmer, Beiwort: „angesehen“. In seinem gutbürgerlichen Heim sorgt er sich, wenn die Pizza fälschlich mit Rucola geliefert wird und eines seiner beiden Mädchen das nicht mag. Regelmäßig fährt er sie dann im SUV zu den Außer-Haus-Terminen. Dort heißen sie „die Ware“, werden verprügelt und vergewaltigt. Was der Film nicht explizit zeigt. Weil er seinen verstörenden Drive lieber aus der Darstellung der Fassade entwickelt. Ani: „Die Schicksale der Kinder in unserem Drehbuch sind nicht erfunden. Ebenso wenig wie die Charaktere der Täter.“

Nadja Uhl/Karin Wegemann ist nach den Ereignissen vor zwei Jahren immer noch schwer traumatisiert. Der neue Kollege (Mišel Matičević) in Potsdam sagt ihr zur Begrüßung, dass sie älter aussehe als auf dem Foto. Sie trauen einander nicht, aber sie werden sich zusammenraufen. Vorher will er sie aber noch belehrt haben: „Sie müssen noch viel lernen hier. In Brandenburg. Wissen Sie, das geht hier alles sehr familiär zu, ja. Man hilft sich, passt aufeinander auf. Und hier lässt sich keiner in die Suppe spucken. Schon gar nicht von so ’ner verbissenen Hauptstadtziege, die glaubt, das Baumblütenfest in Werder wäre der jährliche Höhepunkt unserer Polizeiarbeit.“

Um diesen Drehbucheinfall angemessen zu würdigen, muss man wissen: Ina Jung und Friedrich Ani leben in München, Mišel Matičević in Berlin und Nadja Uhl in Potsdam.