Der frische Minztee schmeckt und ist gesünder als die üblichen drei Bier
: We’re happy tonight

ausgehen und rumstehen

von René Hamann

Winterwunderland! Eine Schneedecke hat sich über die Dinge gelegt, über Nacht, und dämpft alles schön angenehm, macht alles sanft. Ja, so kann man das sehen. Die Kehrseite ist, dass der aufgeweckte Streudienst schon früh aufgestanden ist und die Straßen am Sonntagmorgen in etwas nass Glänzendes, aber mit neuem Schneefall immer Matschigeres verwandelt hat. Es ist jedes Mal das Gleiche.

Und es ist saukalt. Und dunkel. Man ist stundenweise offline. Die Kälte macht einen noch unbeweglicher. Das war vielleicht auch der Grund, warum die Premierenparty eher mau war. Dabei war das Stück doch gut (wir werden berichten). Aber ja, bevor es ins Nachpremierenloch geht, feiern die Darsteller lieber in der Kantine, während sich das gemeine Volk hier im Gorki Theater nach und nach lieber in seine Mäntel verliert und in die Tram steigt, die schon hinter dem Haus wartet.

Der Sekt war ja auch so schnell weg. Und immer gibt es Sekt oder O-Saft oder Wasser, aber nie Rotwein oder Buletten. Buletten wären es gewesen an diesem Abend, der immerhin über drei Stunden lang war, und das an einem Freitag. Und die Premierenparty bestand dann eben aus einem länglichen Raum, der einsam mit Madonna („Holiday“) und Michael Jacksons „Thriller“ beschallt wurde. Gute Tanzmusik, einerseits. Aber andererseits: Man kennt diese Partys. Da kann man sich als DJ noch so ins Zeug legen. Da kommt keiner tanzen, außer vielleicht einem Pärchen, das seinen zweiten Frühling erlebt.

Die Gespräche gingen ungefähr so: „Für dieses Jahr ist ein Jahrhundertwinter angekündigt worden. Ich weiß nicht, wie ich das überleben soll.“ – „Für mich ist jeder Winter hier ein Jahrhundertwinter.“ Seltsam, dass wir diese Stadt nicht schon längst aufgegeben haben. Die Freunde haben schon Fernreisen gebucht.

Ich muss zugeben, mir hat der Freitagabend eigentlich schon gereicht. Am Donnerstag war ich auch schon aus gewesen, essen, dann noch kurz in einer dieser abgerockten Neuköllner Bars, die mit einem Blumengesteck auf der Theke schon ziemlich aufgewertet sind. Das Klo ist ein Unisex-Klo, aber vielleicht auch nur, weil das einsame Pissoir auf der anderen Seite seit Jahr und Tag kaputt ist. Lieblingsbar, immer noch.

Aber dann waren wir doch noch im Kino, in „Joy“ mit Jennifer Lawrence, die sehr schön mehrere Male das Wort „mop“ aussprechen darf, im Original mit Untertiteln. Obwohl, in der synchronisierten Fassung wahrscheinlich auch. Erzählt wird die uramerikanische Geschichte des Erfolgs als Ergebnis von Wille und Durchsetzungsvermögen bei denkbar schwierigsten Umständen: Leben im White Trash, die Pleitegeier haben sich im verwahrlosten Storchennest eingenistet, sie haben für Generationen ihr neues Zuhause gefunden. Alle um die Heldin herum sind unfähig, neurotisch, voller Hemmnisse. Kenn ich. Es gab seltsame Kritiken zu dem Film, mir hat er nicht nur wegen der Lawrence und trotz der Wiedererkennungswerte und der absehbaren Dramaturgie sehr, sehr gut gefallen. Und im Winterwunderland kann man sich nach dem Kino ins späte Café setzen, da stören die Gäste kaum, rauchen ist ohnehin passé, und der frische Minztee schmeckt auch und ist gesünder als die sonst üblichen drei Bier.

Wie sang Frank Sinatra? „Snow is glistening/ A beautiful sight, we’re happy tonight/ Walking in a winter wonderland.“