Porträt: Der geschliffene Diamant
Als „einen Traum, den er so nicht zu träumen gewagt“ hätte, beschrieb Christian Dissinger Ende April seinen avisierten Wechsel zum THW Kiel. Der 24 Jahre alte Rückraumspieler sprach von einer „unglaublichen Chance“, die ihm die Verantwortlichen des Handball-Rekordmeisters gegeben hätten. Dissinger, Junioren-Weltmeister von 2011 und damals in Griechenland zum wertvollsten Spieler ausgezeichnet, versprach: „Ich möchte dieses Vertrauen mit guten Leistungen zurückzahlen.“
Der Transfer wurde zu einer Win-Win-Win-Situation: Dissinger, der THW und das deutsche Nationalteam profitierten. Dem Ausnahmetalent gelang es nach einem verhaltenen Start im Trikot der Kieler „Zebras“, eine immer wichtigere Rolle im Team einzunehmen. Gegen Ende der Hinrunde hatte sich Dissinger die Position als Nummer eins im linken Rückraum erarbeitet.
Abgehakt waren damit die schweren Zeiten, die der gebürtige Ludwigshafener hatte durchmachen müssen. Im Oktober 2011 hatte er im Trikot der Kadetten Schaffhausen im Champions-League-Spiel gegen den FC Barcelona seinen ersten Kreuzbandriss erlitten. Kaum davon genesen, folgte im April 2013 der nächste Kreuzbandriss. Für so manchen Leistungssportler hätte dies das vorzeitige Karriereende bedeutet, der damals 21-Jährige unterschrieb jedoch im Juni 2013 einen Vertrag bei Atletico Madrid. Wegen der Insolvenz des Klubs kam der Wechsel allerdings nicht zustande. Stattdessen ging es zum TuS Nettelstedt-Lübbecke, bevor dann Kiel rief.
Dort gelang es THW-Trainer Alfred Gislason, ein Talent zu einem echten Top-Spieler zu entwickeln. Davon, dass Dissinger dieses Wagnis eingegangen ist, profitiert nun die deutsche Nationalmannschaft: Bei der aktuellen EM in Polen ist der Rechtshänder ein Hoffnungsträger. Im ersten Gruppenspiel am Sonnabend gegen Spanien (29:32), seinem achten Einsatz in der A-Nationalmannschaft, erzielte er sechs Treffer – und war damit der erfolgreichste deutsche Spieler.
In die Partie war er mit dem Wissen um eine unbeschwerte Zukunft gegangen. Der bis 2017 laufende Vertrag beim THW wurde noch vor dem Beginn der EM um drei Jahre bis 2020 verlängert. „Christian hat in den vergangenen Wochen gezeigt, warum ich ihn unbedingt in der Mannschaft haben wollte“, sagte Trainer Gislason. „Er wächst jetzt in eine Rolle hinein, die ihm vorher kaum jemand außerhalb Kiels zugetraut hatte.“ Für Dissinger ist es eben dieses Vertrauen, das ihm der THW Kiel entgegenbrachte, das seine Entwicklung „enorm gefördert“ habe. Schon mal nahe vor dem Ende seiner Karriere, ist er nun ein Versprechen für die Zukunft. Christian Görtzen
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