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Musik Ein Künstler, der mit seinem Künstlertum hadert und zugleich von seiner eigenen Genialität überzeugt ist – Helmut Krausser: „Alles ist gut“Melodien, die töten

Der Held will Ekstase. Über Neue Musik, wie hier in Donaueschingen, lästert er Foto: Rolf Haid/dpa/picture alliance

von Elisa Britzelmeier

Der Schriftsteller Helmut Krausser war einmal kurz davor, richtig berühmt zu werden. 1993 war das, mit seinem Roman „Melodien“. Es war die Zeit der postmodernen Historienromane, die großen Zeitungen von Spiegel bis Zeit nannten ihn zusammen mit Umberto Ecos „Name der Rose“.

Der Roman spielte größtenteils im 16. Jahrhundert, es ging um Musik, die jeder Gewalt überlegen ist. Die Kranke heilen kann, Frauen verliebt machen – und eben auch Gegnern schaden.

Den richtig großen Erfolg erreichte Krausser trotzdem nicht, er schrieb weiter, zahlreiche Romane, Theaterstücke und Gedichte, immer wieder hatten sie mit Musik zu tun, und er komponierte selbst, Lieder und Opern. Kürzlich ist sein neuer Roman „Alles ist gut“ erschienen, und darin geht es wieder um Musik. Um Melodien, die töten können. Und um geheimnisvollen Noten aus dem 16. Jahrhundert.

Der erfolglose Komponist Marius Brandt, von Intendanten und Dramaturgen wieder und wieder vertröstet, muss trinken, um überhaupt arbeiten zu können und um seinen Kontostand zu vergessen. Anders als in „Melodien“ befinden wir uns in der Gegenwart, in einem Wohnblock in Berlin-Kreuzberg. Anders als der Magier Castiglio ist der Komponist Brandt nicht auf der Suche nach magischen Melodien. Sie werden ihm zugespielt, der polnische Hausmeister überlässt ihm ein wertlos scheinendes Bündel Noten für ein Pfund Kaffee. Brandt, zunächst lustlos, arbeitet die Melodien in seine Komposition ein. Der Titel: „Alles ist gut“.

Aber dann: Bei der Uraufführung gibt es Tote. Spätestens als auch noch der verhasste Dramaturg Bornstedter stirbt, ist klar: Hier sind größere Mächte am Werk.

Tor in eine Gegenwelt

Der Roman fragt nach der Macht der Musik. Doch bald gibt es das Problem, dass nicht klar ist, was man glauben kann

„Alles ist gut“ hat nur knapp 250 Seiten, die Langatmigkeit von „Melodien“, dem 900-Seiten-Werk, hat Krausser abgelegt. Der Roman erzählt, was passiert, nachdem die Melodien ihren Weg durch die Jahrhunderte gegangen sind, nachdem der berühmte Kastratensopran Pasqualini, Sänger der päpstlichen Kapelle, sie für seine Verbrechen missbrauchte; wie sie bei einem Rabbi, bei Irren und Mördern landen und Kriege überdauern. Zugleich öffnet „Alles ist gut“ das Tor in eine Gegenwelt, eine, in der Dämonen herrschen, die durch die Melodien geweckt werden.

Der Roman fragt nach der Macht der Musik. Können Töne wirklich töten? Nimmt man die Frage ernst, stößt man bald auf das Problem, dass hier überhaupt nicht klar ist, was man glauben kann. Der Text ist durchzogen von ironischen Brechungen. Da ist der Bezug zur Tradition der Künstlerromane, mit ihren Inspirationsquellen: dem Rausch, der hier eher zu Kopfschmerzen führt als zum Eintritt in ein höheres Reich, und der Frau, die nicht die unerreichte Geliebte in der Ferne ist, sondern die „eierleckende Wollmilchsau“.

Da ist ein Künstler, der mit dem Künstlersein hadert und zugleich überzeugt von seiner eigenen Genialität ist, so sehr, dass er sich lächerlich macht – ganz ähnlich kann man das auch über den Autor Helmut Krausser in seinen Tagebüchern lesen. Und da ist die finale Wendung, die großen Spaß macht: Der Autor höchstpersönlich tritt in seinem eigenen Buch auf. Und der Helmut Krausser im Buch ist dick, hässlich und so egozentrisch, dass es eine wahre Freude ist.

„Züge einer Satire“, wie es im zwischengeschobenen Schlusswort heißt, „wie jede ehrliche Beschreibung der Welt“, trägt der Roman auch, wenn es um den Kulturbetrieb geht. Brandt sieht sich umgeben von Komponisten, die in Wettbewerben darum eifern, der Modernste zu sein. Neu, innovativ, und das heißt: möglichst atonal sollen die Kompositionen sein.

Relevanz mit Sinnlichkeit

Brandt hat die Nase voll davon, er lästert über die Donaueschinger Musiktage, bei denen Kompositionen bejubelt werden, „die nur noch aus Schab- und Kratzgeräuschen bestehen“. Brandt hält mit tonaler Musik dagegen. Er will der Gattung Oper zu neuer gesellschaftlicher Relevanz verhelfen, und er will zurück zu „Sinnlichkeit und Ekstase“. Auch wenn er von Komponistenkollegen und Feuilleton dafür als kitschig etikettiert wird.

Die Suche nach dem Immerneuen führt zu einer Kunst, die niemanden mehr interessiert und erst recht niemanden mehr bewegt. Dem hält Brandt ein anderes Verständnis von Kunst und auch von Urheberschaft entgegen: An die Stelle der Innovation rückt ein bestmöglicher Mix des Alten. „Alle Komponisten haben geklaut, alle, selbst die größten“, sagt Brandt. So ähnlich schrieb das auch Krausser in seinem Tagebuch, schon 1998. Und so verfährt Krausser als Autor von „Alles ist gut“: Er bastelt Neues aus dem Vorhandenen. „Alles ist gut“ ist ein Remix von „Melodien“, wenn man so will, oder Variation und Fuge.

Können Melodien also töten? Die Sehnsucht danach ist da, wenigstens metaphorisch. „Alles ist gut“ ist ein Spiel der Literatur mit sich selbst. Es geht um Kunst, die sich in der Kunst selbst reflektiert. Es geht aber auch um Kunst, die stärker ist als gedacht. Am Ende haben die Dämonen das letzte Wort.

Helmut Krausser: „Alles ist gut“. Berlin-Verlag, Berlin 2015, 240 Seiten, 20 Euro

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