Improvisation in der Unterwelt

PORTRÄT Der rockige Jazz-Gitarrist Kalle Kalima ist momentan der umtriebigste Motor der Berliner Szene. Gleich mit zwei Projekten lässt sich der 42-jährige Finne nun live im Konzert erleben

The Shape of Fins to come: Kalle Kalima lacht sich scheckig Foto: U. Neumann

von Franziska Buhre

Er ist ein Vagabund und Prophet, seine Pläne verlangen oft halsbrecherische Manöver, die sich später als vollkommen sinnlos erweisen. Aber sein Talent für Zufälle und seine gnadenlose Selbstüberschätzung prädestinieren ihn geradezu zum König der Ausbrecher, wenn er mal wieder in die Bredouille geraten ist. Und weil er in Freiheit als Gentleman nicht selbst in Erscheinung tritt, hat Johnny La Marama der Einfachheit halber drei Söldner angeheuert, die seinen Taten auf Gitarre, Bass und Schlagzeug Ausdruck verleihen.

Der 42-jährige finnische Gitarrist Kalle Kalima sagt im Gespräch über den Spiritus Rector und Ideengeber seines Trios mit dem Schlagzeuger Eric Schaefer und dem Bassisten Chris Dahlgren: „Johnny ist höchstwahrscheinlich in New Jersey geboren und eigentlich unser viertes Bandmitglied.“ Die kuriosen Streifzüge der so realen, wie fantasierten Figur Johnny durch Halb- und Unterwelten in Weltgeschichte und Gegenwart bieten den drei Musikern unerschöpflichen musikalischen Stoff. Als Verkörperungen von Johnny La Marama kreieren sie den waghalsigsten und mitreißendsten Jazzrock, den es gegenwärtig in Deutschland zu hören gibt.

Auf das Geheiß ihres Anführers fanden sich Johnny La Marama bereits im Jahr 2000 zusammen. Was heute als selbstverständlich gilt, das Verständnis als Kollektiv zu arbeiten, war damals noch sehr rar. Nach dem Studium an der Sibelius-Akademie in Helsinki und an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin hatte sich der Finne Kalima ganz für Berlin als Wahlheimat entschieden.

Geboren und aufgewachsen ist Kalima in Helsinki. Die Songs der Beatles, von Pink Floyd und Led Zeppelin bringen ihn als Jugendlichen zur E-Gitarre. Er lernt das Instrument an der Musikschule, sein Lehrer zeigt ihm vor allem Blues und Country: „Die E-Gitarre wurde darin weit entwickelt,“ meint Kalima. „Die ersten Jazzgitarristen haben eher gearbeitet wie Pianisten und Saxofonisten, ihnen war die Weiterentwicklung des Klangs nie so wichtig. Die emotionale Art, Gitarre zu spielen und eine Spieltechnik wie Bending entstanden in Country und Blues, hat mich mehr interessiert.“

Tango und Rock’n’ Roll

Als Musiker tritt Kalima erstmals am Ende seiner Schulzeit in Erscheinung - er spielt etwa in Bands, die zu Hochzeiten aufspielen. Einer seiner Kumpel ist Mikko Paananen, Bassist der finnischen Rockband Him. Sie haben Walzer, Tangos, Polkas, Schlager und Rock ’n’ Roll im Programm, in dieser Reihenfolge bei jeder Feier. Kalima weiß daher ganz genau, wie er Menschen in Bewegung versetzt, seine Musik ist auch heute spielend körperlich nachvollziehbar. Wenig Spielraum hat Kalima dann während seines Wehrdienstes, den er nur absolviert, weil der Zivildienst deutlich länger ist und er bei der Armee als Musiker tätig sein kann. Er schlägt die Becken in einer Blaskapelle, in einer Schlagercombo des Militärs spielt er Gitarre.

Ein Marsch von Jean Sibelius bleibt Kalima in Erinnerung, dieser gelangt auf sein neues Album „High Noon“, das demnächst erscheint. Den Anstoß für die neuerliche Beschäftigung mit Country&Western-Songs gibt ihm der Bassist Greg Cohen, der am Jazz-Institut Berlin lehrt und mit Größen wie Lou Reed und Laurie Anderson gespielt hat. Cohen teilt die Musik seiner Kindheit mit Kalima und dem Schlagzeuger Max Andrzejewki, die drei erkunden sie seit 2011 live. „Als Europäer ist es schwierig, US-Folk ohne Klischees zu spielen,“ sagt Kalima. „Wenn, dann muss man es auch richtig anstellen. Cohen kennt sich damit aus, wie man die Stücke interpretieren soll. Viele Bands machen ihre eigene und oft sehr komplexe Musik. Hier haben wir eine simple Vorlage, aus der unser Jazz wird – Musik die entspannt ist und Spaß macht.“

„Mir liegt, die emotionale Art, Gitarre zu spielen, mit Bending wie im Blues“

Kalle Kalima

Das im Original Cowboy-hafte „South of the Border“ transformiert Kalima etwa zu großzügigen melodischen Bögen, auch im Titeltrack des Album emotionalisiert er die Gitarrensaiten mit Schwingungen, die hörbar atmen. Das Spektrum seiner Klangfarben ist enorm, zugleich spielt er den Dialog und Einvernehmen mit dem Material entschieden vielseitig. Nicht das Instrument spielt ihn, wie bei vielen Gitarristen, die Effekte nutzen, sondern er erzeugt eine Atmosphäre in Verbindung mit instrumentaler Brillanz. Die passenden Instrumente für seinen beherzten Anschlag hat der Gitarrenbauer Frank Deimel gefertigt. Auf seinen Instrumenten kann Kalima warm und druckvoll klingen, hell und scharfkantig, er kann wabern oder hart an vorderster Front zupacken.

Spacerock mit funky Groove

Ein weiteres Trio gemeinsam mit dem Multiinstrumentalisten und Sänger Jimi Tenor und dem Schlagzeuger Joonas Riipa namens Tenors of Kalma ist Kalimas finnische Spielwiese für Space Rock mit funky Grooves, hypnotischen Riffs und zwingenden Gesangseinlagen. Zwar hat die Band neue Stücke im Programm, macht sich in Berlin aber derzeit etwas rar.

Johnny La Marama dagegen waren zuletzt mit dem lateinischen Dichter Vergil unterwegs auf dem Läuterungsberg, der mittleren Station in der „Göttlichen Komödie“ von Dante. Den Mundharmonika spielenden Autor ließen sie allerdings links liegen und begegneten stattdessen Carlo Gesualdo, der nach dem Mord an seiner Ehefrau Musik für die Ewigkeit schrieb. Das Dokument der Reise auf die sieben Terrassen der Todsünden, „Il Purgatorio“, ist auf dem Berliner Label Traumton erschienen. Außer in den anstehenden Konzerten ist Kalima im März noch in der Musiktheaterproduktion „Holzfäller“ mit Thorbjörn Björnsson in den Sophiensälen zu erleben.

Kalle Kalima Record Release „High Noon“, 14. Januar A-Trane

Johnny La Marama „Best of 15 Years“, 23. Januar Aufsturz

Johnny La Marama: Il Purgatorio“ (Traumton); Kalle Kalima: High Noon (Act Music)