"Ihre völkerrechtliche Pflicht erfüllen"

Syrien II Florian Westphal, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen Deutschland, über mögliche Hilfe für Syrien – via Skype und aus der Luft

Florian Westphal

Foto: Barbara Sigge

ist seit 2014 Geschäftsführer der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen (Médecins sans Frontières, MSF). Zuvor arbeitete er 15 Jahre lang für das ­Internationale Komitee vom Roten Kreuz, zuletzt in Genf.

taz: Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MsF) hat bis Sonntag 28 Hungertode in Madaja registriert, mit genauen Angaben zu Name, Alter und Geschlecht der Toten. Syriens UNO-Botschafter behauptet, die Berichte über Hungertote seien alles Lügen. Woher haben Sie Ihre Informationen?

Florian Westphal: Vom medizinischen Personal im lokalen Gesundheitszentrum, mit dem wir seit Jahren in engem und regelmäßigem Kontakt stehen. Weil der Zugang für MsF und andere humanitäre Organisationen zur notleidenden Bevölkerung Syriens von allen Kriegsparteien verhindert wird, arbeiten wir in Madaja wie in rund 200 weiteren syrischen Städten und Landgemeinden eng mit den dortigen Gesundheitszentren zusammen und unterstützen sie unter anderem durch Hilfsanleitungen via Skype.

Die am Montag erfolgte Hilfslieferung nach Madaja wurde von der Regierung nur unter der Bedingung genehmigt, dass gleichzeitig zwei von den Rebellen belagerte Städte versorgt werden. Ist das jetzt das Modell, um landesweit die Versorgung der notleidenden Bevölkerung zu erreichen?

Keineswegs. Alle Kriegsparteien müssen endlich ihre völkerrechtliche Verpflichtung erfüllen und an jedem Ort in Syrien dauerhaft, und nicht nur einmalig, die uneingeschränkte humanitäre Versorgung der Bevölkerung zulassen. Und zwar bedingungslos und unabhängig von politischen Vereinbarungen.

Es gibt die Forderung – aktuell des grünen Außenpolitikers Omid Nouripur – Madaja aus der Luft zu versorgen.

Der Luftabwurf von Hilfsgütern ist wenig präzise und das extremste Mittel der humanitären Versorgung, wenn keine anderen Wege mehr möglich sind. So wie aktuell etwa im Sudan, wo wegen nicht vorhandener Straßen versorgungsbedürftige Menschen in entlegenen Gebieten auf dem Landweg nicht erreicht werden können. Das ist bei Madaja nicht der Fall. Die Stadt liegt 25 Kilometer von Damaskus entfernt und ist auf dem Landweg gut zu erreichen. Was fehlt, ist der politische Wille der belagernden Kriegspartei, ihre völkerrechtliche Verpflichtung zu erfüllen und den humanitären Organisationen uneingeschränkten Zugang zu der Stadt zu gewähren. Versorgung aus der Luft, wo es nicht zwingend erforderlich ist, könnte den Kriegsparteien ihre Weigerung zur Erfüllung ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung erleichtern.

InterviewAndreas Zumach