Nicht gestochen, nur geritzt

WISMAR Neonazis hätten ihn mit einem Messer attackiert, behauptete ein Nachwuchspolitiker der Linkspartei. Die Geschichte war offenbar erfunden. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft – gegen ihn

Dort könnte Julian K. landen: vor dem Gericht in Schwerin Foto: Büttner/dpa

BERLIN taz | „Auf die Unschuldsvermutung wird ausdrücklich hingewiesen.“ Das ist der letzte Satz einer Pressemitteilung, die die Staatsanwaltschaft Schwerin am Montag versendet hat. Der Satz ist wichtig, weil alles andere in dieser Pressemitteilung Sprengkraft hat: Demnach soll der Nachwuchspolitiker der Linkspartei, der vergangene Woche angeblich von Rechtsextremen überfallen und mit 17 Messerstichen attackiert worden war, den Übergriff frei erfunden haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun gegen den Linkenpolitiker Julian K. wegen Vortäuschung einer Straftat. Wenn der Verdacht bewiesen werden kann, drohen dem Sprecher der Linksjugend Solid in Schwerin laut Strafgesetzbuch eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren.

In der vergangenen Woche hatten Julian K. und der Kreisverband der Linkspartei behauptet, K. sei am Montag von drei Rechtsextremen überfallen und mit einem Messer attackiert worden. Ärzte hätten 17 Messerstiche an seinem Körper gezählt. Das Neue Deutschland schrieb daraufhin von einem Mordversuch. Politiker wie Dietmar Bartsch (Linkspartei) und Volker Beck (Grüne) warnten vor der neuen Dimension rechter Gewalt. Auffällig war von Beginn an, wie selbstbewusst sich das vermeintliche Opfer des Mordangriffes schon kurz nach der Tat gab. Er werde sich „von diesem feigen Angriff nicht einschüchtern lassen“, schrieb K. „Unsere Antwort auf Hass muss Liebe, auf Dummheit Vernunft und auf Gewalt Solidarität sein.“

Die Polizei wunderte sich derweil, dass K. erst einen Tag nach der Tat Anzeige erstattete – übers Internet. Als er auch am Folgetag kaum erreichbar war, während aus Reihen der Linkspartei schon scharfe Forderungen nach konsequenten Ermittlungen laut wurden, begann die Geschichte denkwürdig zu werden.

Nun deutet offenbar vieles darauf hin, dass der Tat­her­gang erfunden war. Das meint zumindest die Staatsanwaltschaft Schwerin. Demnach hat ein Rechtsmediziner festgestellt, dass die Schnittwunden, die K. am Arm hat, kaum von massiven Messerangriffen, sondern wahrscheinlich eher aus Selbstverletzungen stammten. Auch habe K. bei einer Tatortbegehung Zweifel an seiner Version aufkommen lassen. Zudem sei angeblich die Jacke verschwunden, die als Beleg für die Schnittwunden dienen könnte. Und so ergibt sich das – vorläufige – Gesamtbild: K. soll gelogen haben. Nur: Wieso?

Der bei der Tat ­getragene Mantel sei ihm kurz darauf entwendet worden

Für die taz war K. trotz mehrfacher Nachfragen nicht zu erreichen. Auch der Schweriner Kreisvorsitzende der Linkspartei, Peter Brill, macht sich einen schlanken Fuß. Er will nicht einmal sagen, ob die von ihm dargestellte Faktenlage nun Bestand habe oder nicht. Damit macht er es sich einfach. Er war es, der die Version seines Genossen erst in einer Pressemitteilung verbreitet hatte. Martin Kaul