Flucht

In Hessen schießen Unbekannte auf ein Asylbewerberheim. In Berlin stehen Flüchtlinge bei Minusgraden draußen vor dem Amt

Gezielte Schüsse auf Flüchtlingsheim

Hessen Asylbewerber durchs Fenster getroffen. Anwohner schockiert. Täter und Motiv unbekannt

Die attackierte Unterkunft in Dreieich Foto: dpa

FRANKFURT AM MAIN taz | Die erste Woche des neuen Jahres hat für 14 Asylbewerber im südhessischen Dreieich mit einem Albtraum begonnen. In der Nacht zum Montag griffen Unbekannte gegen 2.30 Uhr ihre Schlafstätte in einem Wohnheim mit einer Schusswaffe an. Ein 23-jähriger Syrer wurde im Bett von einer Kugel getroffen und musste im Krankenhaus behandelt werden.

Dreieichs Bürgermeister, Dieter Zimmer, SPD, sagte der taz, er sei fassungslos und schockiert. Bundesjustizminister Heiko Maas, SPD, twitterte, man dürfe nicht zusehen, wie sich die Spirale der Gewalt weiterdrehe. Der Rechtsstaat dürfe und werde das nicht hinnehmen. Ein fremdenfeindliches Motiv der Tat wollten die Behörden weder bestätigen noch ausschließen. Man ermittle „in allen Richtungen“, sagte eine Sprecherin der taz.

Die dreigeschossige Unterkunft, in der zurzeit 30 Asylbewerber untergebracht sind, liegt am Rande eines Wohn­gebiets in Nachbarschaft eines Supermarkts im Stadtteil Drei­eichenhain. Die Polizei sperrte den Tatort noch in der Tatnacht ab.

Die oder der Täter hatten durch die Fenster eines einstöckigen Anbaus geschossen, in dem vier syrische Flüchtlinge schliefen, in dem Haus waren zur Zeit des Angriffs 14 Menschen. Die Kugeln durchschlugen die bodentiefen Fenster des Schlafraums, die Glasscheiben zerbarsten allerdings nicht.

Dem Hessischen Rundfunk (hr) berichtete einer der Betroffenen, ein vermummter Angreifer habe mit einer Handfeuerwaffe sechs oder sieben Mal geschossen. Von einem „gezielten Angriff“ sprach die zuständige Staatsanwältin, Nina Reininger: „Wer durch die Fenster in einen Schlafraum schießt, nimmt in Kauf, dass er Menschen trifft“, sagte sie.

Anwohner, die am Morgen in dem angrenzenden Industriegebiet ihre Einkäufe erledigten, zeigten sich schockiert über die Vorgänge in der Nacht. Persönlich fühle er sich zwar nicht bedroht, aber dass auf Flüchtlinge geschossen werde, sei eine „ungeheure Sauerei“, sagte der 56-jährige Wolfgang Brügel dem hr.

„Man denkt, dass so was in so einem kleinen Ort wie Dreieich nicht passieren kann“, sagte die Anwohnerin Karin Knorz ­erschrocken. Die Stimmung im Ort sei gut, man sei offen für Flüchtlinge und sie würden integriert, beschreibt Knorz dem hr die Lage in der Gemeinde.

Ermittlungen: Die Täter, die Pyrotechnik auf eine Flüchtlings­unterkunft in Köln geworfen ­haben, sind offenbar Pegida-­Anhänger. Die Leuchtfackeln seien mit Schriftzügen der islamfeindlichen Bewegung beklebt gewesen, sagte Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn am Montag.

Tat: Die Täter hatten am Samstagabend das Gebäude in Köln-Mülheim beworfen. Eine Fensterscheibe ging zu Bruch.

Verdächtige: Kurz nach der Tat nahmen Polizisten einen 21- und einen 25-Jährigen als Verdächtige fest. Gegen sie wurde Haftbefehl erlassen, wie der Staatsanwalt berichtete. Der für politische Straftaten zuständige Staatsschutz ermittelt. Weitere Angaben zu den Hintergründen machte Willuhn wegen der laufenden Ermittlungen nicht.

Dreieichs Bürgermeister Zimmer, der trotz Krankheit ins ­Rathaus geeilt ist, spricht am Morgen von einer „brutalen und menschenverachtenden Tat“. Die Stadt sei für ihre große Willkommenskultur mit viel ehrenamtlichem Engagement bekannt, sagt er der taz. „In Dreieich leben Menschen aus 110 Nationen friedlich miteinander“, so Zimmer. Über die oder den Täter mag er nicht spekulieren. Ihm seien weder rechts­extremistische Umtriebe in Dreieich bekannt noch Spannungen unter den Flüchtlingen, die die Stadt bewusst dezentral untergebracht habe.

Das von den Schüssen getroffene Zimmer werde zwar geräumt, auch wegen der Ermittlungen, sagt der Bürgermeister. Die syrischen Bewohner würden nach Absprache mit ihnen in andere Räume des Wohnheims verlegt, so Zimmer. Die Stadt halte an der attackierten Einrichtung jedoch fest. Viele Bürgerinnen und Bürger hätten sich im Rathaus gemeldet, weil sie noch am gleichen Tag ein demonstra­tives Zeichen der Solidarität ­setzen wollten. Er traue der Polizei, die mit Hochdruck ermittle, zu, das Verbrechen aufzuklären, so Bürgermeister Zimmer. Christoph Schmidt-Lunau