Freie Fahrt für Drogenboss in die USA

Mexiko Zweite Flucht beendet. Der weltweit gesuchte Kartellchef Joaquín „El Chapo“ Guzmán sitzt wieder hinter Gittern. Die USA haben seine Auslieferung beantragt, auch damit er nicht nochmal entkommt

Präsentation für die Presse: Guzmán am Freitag nachdem er per Hubschrauber nach Mexiko-Stadt gebracht wurde Foto: Eduardo Verdugo/ ap

von Wolf-Dieter Vogel

BERLIN taz | Ausliefern oder nicht? Kaum war Joaquín „El Chapo“ Guzmán am Freitag verhaftet worden, forderten Sicherheitsexperten die Auslieferung des mexikanischen Drogenbosses an US-Behörden. Bereits am folgenden Tag ließ auch Mexikos Generalstaatsanwaltschaft wissen, man werde den Weg freimachen, um den 58-Jährigen in die USA zu bringen.

Doch so einfach geht es das nicht: Die Anwälte des Chefs des Sinaloa-Kartells haben bereits drei Einsprüche gegen seine Auslieferung eingelegt. Auch die mexikanischen Strafverfolger stellten klar: Zunächst werde der bis dato weltweit meist gesuchte Drogenbaron in Mexiko vor Gericht gestellt.

Kriminologen befürchten jedoch, dass es dann schon zu spät ein könnte. „Es wäre definitiv eine schlechte Botschaft, wenn man ihn jetzt nicht ausliefern würde, wo jeder weiß, dass unsere Gefängnisse nicht sicher sind“, erklärte der Journalist und Mafia-Experte Pepe Reveles.

Reveles Befürchtungen sind nicht unbegründet: Bereits zweimal ist El Chapo, „der Kleine“ aus dem Gefängnis geflüchtet. Zuerst 2001 in einem Wäschewagen, im Juli letzten Jahres dann durch einen Tunnel. Seine Helfer hatten einen 1,5 Kilometer langen unterirdischen Gang gegraben, durch den Guzmán in aller Ruhe aus dem Hochsicherheitsgefängnis Altiplano nahe Mexiko-Stadt in die Freiheit spaziert ist – eine Aktion, die nach Expertenmeinung ohne Hilfe aus hochrangigen Regierungskreisen nicht möglich war.

Von dort aus ging er direkt in seine Heimat Sinaloa, wo ihn Marinesoldaten am Freitag zusammen mit seinem persönlichen Leibwächter verhaftet haben. Fünf Menschen starben bei der Festnahme, sechs weitere wurden verhaftet.

Der Kleine sitzt seither wieder in Altiplano. Sollte er nicht erneut flüchten, erwartet ihn eine langjährige Gefängnisstrafe. Sein Kartell gilt als das einflussreichste Mexikos, es kontrolliert mindestens 17 von 32 mexikanische Bundesstaaten und arbeitet mit Organisationen in 50 Staaten weltweit zusammen. Mit rivalisierenden Kartellen liefern sich Guzmáns Söldner blutige Kämpfe um die Kontrolle der Schmuggelrouten.

Nach Angaben des US-Finanzministeriums liefert das Kartell monatlich zwei Tonen Kokain und zehn Tonnen Marihuana in 1.000 Städte in den USA. Wird El Chapo tatsächlich den US-Behörden übergeben, würden ihn Verfahren wegen organisierter Kriminalität, Drogenhandels, Geldwäsche und Mord in mehreren Bundesstaaten erwarten.

Sagt „El Chapo“ aus, könnte das auch für US-Drogenfahnder Konsequenzen haben

Bereits zweimal hat die US-Regierung die Auslieferung beantragt, zuletzt kurz vor seiner Flucht im Juli. Der damalige Generalstaatsanwalt Jesus Murillo Karam lehnte ab. Guzmán könne nicht noch einmal entkommen, versicherte er. Doch das glaubt nun niemand mehr, viele fordern seine Übergabe an US-Behörden.

Der springende Punkt sei, erklärt Kriminalitätsexperte Edgardo Buscaglia, wie die Verhandlungen zwischen den USA und Mexiko verliefen. Die Informationen, die Guzmán preisgeben könnte, zwängen den mexikanischen Präsidenten Enrique Peña Nieto, gegen korrupte Politiker auf der föderalen bis lokalen Ebene vorzugehen. Deshalb befürchtet Buscaglia, dass sich die politische Klasse gegen eine Auslieferung stellen werde: „Peña Nieto hat nicht das Geringste dafür getan, das darauf hinweist, dass er korrupte Regierungsvertreter ins Gefängnis bringen will.“

Sollte der Kartellchef tatsächlich aussagen, könnte das auch für die US-Drogenfahnder Konsequenzen haben. Nach Informationen der mexikanischen Tageszeitung El Universal sollen sie mit dem Sinaloa-Kartell kooperiert haben, um andere kriminelle Organisationen zu bekämpfen.

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